Meine Entscheidung — Susanne Rau

Susanne Rau wusste schon früh, dass sie keine Kinder möchte. Mit 28 ließ sie sich sterilisieren. Heute hilft sie anderen Menschen dabei, die vielen Hürden auf dem Weg zur Sterilisation zu nehmen.
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Text: Eva Goldschald — Fotos: Benjamin Jenak

„Ist es ok, wenn Oskar dabei ist?“, fragt Susanne Rau, die vor ihrem Laptop im Vereinsbüro sitzt. Hinter ihr auf der Couch liegt ein Kind im Alter von etwa sechs Monaten auf dem Bauch und blickt gespannt in die Kamera. Oskar ist das Baby ihrer Nachbarin. Während die Mutter nebenan arbeitet, passt Rau gelegentlich auf Oskar auf. Ein sehr sympathischer, wenn auch ungewohnter Anblick, wenn es um das Thema Nicht-Mutterschaft und Sterilisation geht. Rau wirkt sehr entspannt und auch Oskar scheint es zu gefallen, dass sich da am Bildschirm etwas bewegt. Immer wieder dreht sie sich um und kontrolliert, ob alles in Ordnung ist.

Rau war 23, als sie zum ersten Mal laut aussprach, dass sie keine Kinder möchte. Damals war sie mit ihrem festen Freund unterwegs, als neben ihnen ein Kind schrie. Beide guckten sich an und ihr Freund fragte, ob sie denn mal eigene Kinder haben möchte. Die Antwort kam prompt: „Nein, auf keinen Fall.“ Ein Gefühl, das sie schon seit mehreren Jahren in sich trug, sprudelte wie selbstverständlich und zum ersten Mal laut aus ihr heraus. Bisher hatte sie das so direkt zu niemandem gesagt. Sie trug damals die Kupferspirale, hatte keine Ahnung, dass sich auch Frauen sterilisieren lassen können. Als sie selbst noch Kind war, spielte sie oft Mutter-Vater-Kind oder dachte sich Babynamen aus. Einen Gedanken daran, das es mal anders werden könnte, hatte sie nicht. Schließlich bekamen alle irgendwann Kinder, es war in ihrem Umfeld selbstverständlich, dass Frauen schwanger oder bereits Mutter waren. Dass es eine bewusste Entscheidung dafür oder dagegen sein kann, war ihr damals noch nicht klar. 

Die Entscheidung, keine Kinder zu wollen, trat nicht einfach so in Raus Leben. Eher war es ein schleichender Prozess. Die Leipzigerin hatte einfach nie ein Bedürfnis danach. Sie las viel über Nicht-Mutterschaft, tauschte sich mit anderen Menschen aus. Mit der Zeit sammelte sie für sich immer mehr Argumente, die gegen eigene Kinder sprachen. „Ich möchte mich nicht ein Leben lang um einen Menschen kümmern müssen und die Verantwortung tragen, egal was passiert. Dazu kommen auch finanzielle Aspekte – ein Kind kostet einfach viel Geld. Ich liebe es, als Freiberuflerin zu arbeiten und mir meine Zeit so einzuteilen, wie ich möchte. Das möchte ich mir nicht nehmen lassen“, erklärt Rau, die selbstständig als Übersetzerin arbeitet. Auch über die Zukunft der Kinder macht sie sich viele Gedanken. „Ich bin mir nicht so sicher, dass wir auf dieser Erde noch etwas retten können. Das möchte ich keinem Kind zumuten. Sorry, Oskar!“ Rau dreht sich zu ihm um, Oskar lacht und gluckert zufrieden. Schließlich wisse er noch nicht, was mal auf ihn zukommen könnte. 

Weg zur Selbstbestimmtheit

Über das Forum des Portals Kleiderkreisel (heute Vinted) erfuhr die damals 27-jährige, dass sich auch Menschen mit Uterus sterilisieren lassen können. Sie recherchierte im Internet, fand Erfahrungsberichte und merkte schließlich, dass dieser vergleichsweise kleine Eingriff ihr das Leben erheblich erleichtern würde. Die Entscheidung gegen Kinder war für sie längst gesetzt. Zwischen einem Check bei ihrem Gynäkologen und der Sterilisation vergingen nur knapp vier Monate. „Es ist schon klug, das nicht Knall auf Fall zu machen. Ich bin da also nicht das beste Beispiel“, gibt Rau zu. Immerhin ist die Sterilisation eine dauerhafte Verhütungsmethode, bei der die Eileiter durchtrennt, mit einem Clip abgeklemmt (sehr selten), durch Hitzeeinwirkung verödet oder komplett entfernt werden. In allen Fällen werden zwar noch Eizellen produziert, sie gelangen allerdings nicht mehr in die Gebärmutter.

Eine Refertilisierung ist grundsätzlich möglich, dafür jedoch muss noch genügend gesunder Eileiter übrig sein. Die Chance, wieder schwanger zu werden, liegt laut Pro Familia zwischen 30 und 70 Prozent. Manche Praktizierenden veröden auf der gesamten Länge des Eileiters an mehreren Stellen, das ließe sich dann nicht mehr reparieren. Der Eingriff kostet zwischen 500 und 1 000 Euro. Maximal drei von 1 000 Frauen werden danach trotzdem schwanger. Bei der Pille sind es maximal neun, bei der Hormonspirale 16 und bei der Kupferspirale maximal acht.

Eine Sterilisation zählt also zu den sichersten Verhütungsmethoden. Außerdem werden der Hormonhaushalt und der natürliche Zyklus nicht beeinflusst. Bei Susanne Rau ist das anders. Ihre Eileiter wurden wegen einer Entzündung entfernt und wegen einer Endometriumablation (Verödung der Gebärmutterschleimhaut) blutet sie auch nicht mehr. „Ich fühle mich wirklich so gut. Warum soll ich bluten, wenn ich es nicht muss.“ Der Weg hin zur Sterilisation war für Susanne Rau recht einfach. Ihre erste Anlaufstelle, eine Tagesklinik, bei der sie sich auch die Kupferspirale setzen ließ, erteilte ihr zwar noch eine Absage. Sie sei viel zu jung, könne das jetzt gar nicht entscheiden, hieß es damals. Der zweite Anruf bei einem Gynäkologen war ein Volltreffer. Nach einem Beratungstermin stand fest, er würde die OP durchführen.

Austausch und Erfahrungen

Ein Schnitt am Bauchnabel, einer an der Leiste. Nach nicht mal einer Stunde war der Eingriff vorbei. Rau, noch etwas benommen von der Narkose, fühlte sich gut. Nicht extrem erleichtert, aber auch nicht traurig. „Erst mit der Zeit merkte ich, dass es mich nicht mehr störte, wenn irgendwo ein Kind schrie. Einfach, weil ich wusste, Gott sei Dank wird mir das nie passieren. Ich vergleiche das gerne mit einem Notizbrett, auf dem ganz viele Post-its zu verschiedenen Themen kleben. Mit der Sterilisation habe ich einfach das Post-it mit Kindern abgenommen. Es ist für mich erledigt und aus dem Sinn.“

Angst, dass sie ihren Schritt bereuen könnte, hat Rau nicht. Natürlich bestehe die Möglichkeit, dass sich die Meinung später ändere, dann können sie immer noch ein Kind aufnehmen oder adoptieren. Genauso gut können es Menschen bereuen, Kinder bekommen zu haben, meint sie. Schließlich outeten sich mit der Bewegung #regrettingmotherhood viele Frauen, dass sie – könnten sie sich nochmal entscheiden – lieber keine Kinder bekommen hätten.

In ihrem Umfeld stieß Rau auf Verständnis. „Manche Vertraute fragten mich, wieso ich denn gerade keinen Sport machen könne. Ich antwortete, dass ich mich habe sterilisieren lassen und sie sagten nur: ‚Ach, ok!‘ Und damit war das Thema gegessen.“ Ihre Eltern erfuhren erst mit der Vereinsgründung, dass ihre Tochter keine eigenen Kinder mehr bekommen können würde. „Meine Mutter wäre schon gern Oma, aber sie hat sich damit abgefunden. Sie erlebte meinen Bruder und mich von klein auf mit. Mein Vater arbeitete viel und bekam daher weniger mit. Die typische Rollenverteilung eben. Darum verstehe ich, dass er total gern nochmal die komplette Kindheit eines Enkelkindes erleben würde. Aber das erledigt ja mein Bruder dann.“

Im Oktober 2018 lernte Rau im Kleiderkreisel-Forum sechs andere Frauen kennen – manche von ihnen schon sterilisiert, andere mit dem Wunsch danach. Gut ein Jahr später gründeten sie gemeinsam Selbstbestimmt steril. Mit dem Verein suchen sie Praxen, die eine Sterilisation durchführen, ohne die Interessierten zu verurteilen. In der Recherche greifen sie auch auf die Erfahrungen von anderen Sterilisierten zurück. „Es gibt eine Facebook-Gruppe, in der wir uns austauschen und mit Menschen in Kontakt treten. Für weitere Infos gibt es unsere Webseite.“

Der Verein stellt online eine Übersichtskarte zur Verfügung. Dort ist ärztliches Personal in ganz Deutschland gelistet, das Menschen mit Sterilisationswunsch ernst nimmt und auch Eingriffe vornimmt. „Bisher sind es insgesamt 34 Anlaufstellen, von denen neun diese OP ab einem Alter von 18 Jahren durchführen“, fasst Rau zusammen. Der Verein besteht aktuell aus etwa 50 Mitgliedern, wobei die meisten nur stille Unterstützende sind. Eine Kollegin betreut die Kasse, einige andere den Shop und ein kleines Team die Facebook-Gruppe.

Ausflüchte der Gynäkologie

Susanne Rau ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit – sie betreut Social Media und das E-Mail-Postfach. Zusätzlich versenden die Frauen Informationsflyer an Praxen und sammeln Erfahrungsberichte, die sie online unter dem gleichnamigen Menüpunkt veröffentlichen. „Die Berichte sind zum einen interessant zu lesen, auf der anderen Seite hilft es Menschen, die in der gleichen Situation sind, neuen Mut zu schöpfen. Es ist einfach gut, wenn sie merken, dass sie nicht alleine sind und dass es normal ist, keine oder keine weiteren Kinder zu wollen. Viele leben in einer Kinder-Bubble, in der sie nicht nur von Seiten der Medizin, sondern auch von ihrem Umfeld missverstanden und als nicht normal abgestempelt werden,“ erzählt Rau.

Wer Hilfe benötigt, kann direkt eine E-Mail an den Verein senden oder anrufen. Zum Beispiel, wenn die Anlaufstellen auf der Karte zu weit entfernt sind oder Infos zur Finanzierung der OP gebraucht werden. „Viele wissen nicht, dass auch es möglich ist, den Eingriff direkt bei einem Kaiserschnitt oder einer ohnehin bereits geplanten Bauchspiegelung vorzunehmen. Zudem gibt es in einigen Städten und Landkreisen Verhütungsmittelfonds, die in manchen Fällen in Anspruch genommen werden können.“ Würde es nach Rau gehen, wäre eine Sterilisation etwas ganz Natürliches. Etwas, wofür Menschen nicht schief angeschaut werden. Schließlich ist es in Deutschland theoretisch möglich, sich ab dem 18. Lebensjahr sterilisieren lassen.

Dass das in der Praxis anders aussieht, erlebte sie durch die Arbeit im Verein. Manche aus der Gynäkologie würden sich weigern, Informationen über die Sterilisation herauszugeben, weil sie behaupten, niemand würde so etwas machen. Manche Frauen wurden für ihren Wunsch in der Praxis ausgelacht und gar beleidigt. „Ich konnte es teils nicht fassen. Doch es gab wirklich Aussagen, Frauen hätten schließlich die Pflicht ihren gesunden Uterus für Kinder zu nutzen – Kinder seien doch so großartig“, so Rau. „Manchmal wirkte es so, als sehen es Menschen aus der Medizin als persönlichen Angriff, wenn jemand keine oder nicht noch mehr Kinder wollte.“ Dabei betreffe der Wunsch nach einer dauerhaften Verhütungmethode nicht nur kinderlose Menschen, sondern genauso Mütter, deren Familienplanung abgeschlossen sei.

Selbstbestimmt ohne Kinder

Aus dem ärztlichen Bereich lauteten die Argumente meist, dass Menschen noch zu jung seien oder vielleicht eine neue Beziehung kommen könnte, in der sich ein Kinderwunsch entwickle. Als sich eine Freundin von Rau sterilisieren lassen wollte, wurde ihr erklärt, sie solle doch nach Tschechien gehen, dort würde der Eingriff unsteril im Hinterhof vorgenommen werden. „Das sind so gefährlich klingende Bilder, da kann ich es niemandem verdenken, damit bis zu einem gewissen Alter zu warten, bei dem es aus fachlicher Sicht als ‚normal‘ gilt.“ Vielen werde auch zur Vasektomie des Partners geraten. Das sei schließlich verantwortungsvoll, während eine Sterilisation die „gottgegebene“ Fähigkeit nehme, den weiblichen Körper voll auszuschöpfen.

Woran liegt es, dass sich Menschen mit Uterus so vielen Hürden stellen müssen, ehe sie sich sterilisieren lassen? Rau hat dazu eine klare Meinung: „Ein Eheleben in einem Haus mit zwei Kindern und vielleicht noch einem Hund gilt in der Gesellschaft als erstrebenswert. Und wer heiratet, muss auch Kinder bekommen. Danach wird ganz ungeniert und selbstverständlich gefragt. Entscheidet sich jemand bewusst gegen dieses Lebensmodell, gilt das als unnormal.“ Susanne Rau meint, es scheine für die Gesellschaft wichtig, dass Menschen mit Uterus stets die Möglichkeit haben, Kinder zu bekommen – und diese auch nutzen. Tendenziell sei es einfacher, sich sterilisieren zu lassen, je älter jemand ist und je mehr Kinder die Person hat. Für viele Praktizierende reiche die Begründung, dass die OP nicht nötig sei, um abzulehnen.

„Es gibt so viele nicht notwendige OPs, die ohne Wimpernzucken durchgezogen werden – etwa gewisse Schönheitsoperationen. Ich finde es ja in Ordnung, wenn eine medizinische Fachkraft sagt, sie habe moralische Bedenken und möchte die OP nicht durchführen. Wenn sie dann aber einen Tipp gibt, wo es stattdessen möglich ist, wäre das ein Fortschritt. Der Ton macht die Musik.“ Raus Erfahrungen zeigen, dass Gynäkologen oft sehr patriarchal denken und die Frauen vor einem Fehler bewahren wollen. Und bei Gynäkologinnen kommt das Gefühl dazu, dass diese vielleicht selbst Kinder geboren haben, es als Erfüllung ansehen und daher eine gewisse Abneigung gegen diejenigen entwickeln, die das nicht wollen. „Getreu dem Motto: ‚Nur die Liebe zu einem Kind ist wahre Liebe.‘ Ich kann das nicht mehr hören.“

Wenn Susanne Rau etwas als ihr ‚Baby‘ bezeichnen würde, dann ist es der Verein. „Ich habe ihn mit anderen Frauen aus der Taufe gehoben, ihm beim Wachsen zugesehen, kümmere mich jeden Tag mindestens eine Stunde darum und er gewinnt immer an Bedeutung. Das ist meine Erfüllung und mein soziales Engagement, das ich für diese Gesellschaft leisten will.“

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