Text: Mintje Zorn — Fotos: Jann Höfer
Auch zwei Monate nach dem Eklat um die Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Thüringer Kurzzeit-Ministerpräsidenten ist die politische Lage im Freistaat weiterhin diffus. Zwar haben die Abgeordneten des Erfurter Parlamentes in ihrer Sitzung Anfang März das Ergebnis gewissermaßen rückgängig gemacht und mit Bodo Ramelow (Linke) den alten zum neuen Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Koalition ohne Mehrheit gewählt, doch die Dimensionen des politischen Rechtsrucks im Land – der in Thüringen so offensichtlich geworden war – werfen grundlegende Fragen zum parlamentarischen Umgang mit der AfD auf. Fragen, die es trotz einer weltweiten Pandemie, die sowohl das öffentliche Leben als auch die Schlagzeilen dominiert, zügig zu beantworten gilt.
Für die 18-jährige Kölnerin Pauline Brünger steht die Antwort darauf längst fest: „Kein Handschlag mit Faschist*innen“. Für Brünger ist das keine leere Phrase, sondern echte Überzeugung. Und mit ihrer gleichnamigen Initiative möchte die Mitorganisatorin der Fridays for Future-Bewegung (FFF) in Deutschland anderen Engagierten vor allem eine Plattform zur schnellen und lokalen Positionierung bieten, aber genauso zur langfristigen Partizipation. Brünger sucht deshalb mit Gleichgesinnten nach neuen Wegen. „Wir wollen eine Plattform für politischen Aktivismus schaffen, der sich gegen faschistische Politik, für demokratische Werte und die Bekämpfung der Klimakrise einsetzt.“
Das Netz hilft beim Organisieren
Für Brünger ist diese Form des Engagements etwas, das sie sich in Zeiten einer sich weiter verschärfenden Klimakrise und des erstarkenden Faschismus von allen Menschen wünscht, „die das Privileg dazu haben“. Dafür möchte sie mit ihrer Online-Plattform die Organisation weiterer Proteste und Regionalgruppen ermöglichen. Das funktioniert in nur fünf Schritten, die Brünger auf der „Kein Handschlag“-Seite zusammengefasst hat: befreundete Menschen dazuholen, Verteiler auf Telegram erstellen, Treffen vereinbaren, Demonstration anmelden und die neue Gruppe online registrieren. Diese webbasierte Organisierung habe sich auch schon bei Fridays for Future bewährt, meint Brünger.
Den Anlass für ihre neue Anti-Rechts-Initiative gab schließlich die Kemmerich-Wahl in Thüringen. Der FDP-Politiker hatte sich zum Entsetzen einer ganzen Republik im Februar dieses Jahres mit den Stimmen von AfD, die in Thüringen von Rechtsaußen Björn Höcke geführt wird, und CDU zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen lassen. Was in den Stunden und Tagen danach folgte, war ein lautstarker zivilgesellschaftlicher Aufschrei.
Inzwischen gab CDU-Landeschef Mike Mohring seine politischen Ämter ab – und auch Kemmerich trat unter großem Druck zurück. Dies sei zwingend notwendig gewesen, so Brünger, das Thema damit jedoch noch lange nicht abgefrühstückt. Ganz im Gegenteil: Die Aktivistin fordert gemeinsam mit 15 anderen FFF-Demonstrierenden: „Keinerlei parlamentarische Kooperation mit Faschist*innen, weder jetzt noch in Zukunft.”
Ausgeschlossen ist nichts mehr
Durch die Wahl sei der antifaschistische Konsens zerbrochen, ergänzt Brünger, „der in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelebt wurde. Das ist alarmierend.” Daher war auch das Ziel der Initiative von vornherein deutlich weiter gefasst als allein den schnellen Rücktritt von Thomas Kemmerich zu fordern. Pauline Brünger habe all jene wachrütteln wollen, die ihre Augen noch immer vor dem spürbaren Rechtsruck überall im Land verschließen, diesen tolerieren oder gar befördern würden.
Für Pauline Brünger hätten die vergangenen Monate deutlich gemacht, wie „variabel” die vielerorts versprochene klare Abgrenzung zur AfD sein kann. Gedankenspiele über eine solche Zusammenarbeit mit der Rechtsaußenpartei stellten beispielsweise auch die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU in Sachsen-Anhalt an. In dem Ost-Bundesland wird im Sommer 2021 ein neuer Landtag gewählt – und die aktuellen Umfragen prognostizieren bereits eine schwierige Koalitionsbildung.
Verständnis hat Brünger für solche Forderungen keins – und sie sieht zudem einen klaren Zusammenhang zwischen dem „Einsatz für den Antifaschismus“ und der „Bekämpfung der Klimakrise“. Für sie heißt das: „Geht der Kampf gegen ein Thema verloren, ist auch das andere nicht mehr zu retten.“ Auf dieses Problem möchte sie mit der Initiative hinweisen, ohne dabei von oben herab Aktionen zu dirigieren. Vielmehr wolle sie ihr Know-how zur Verfügung stellen, die vorhandene Motivation und das lokale Engagement bündeln.
Klare Grenze nach Rechtsaußen
Das Vorgehen der Jugendlichen zeichne sich vor allem durch Spontanität und eine gute Vernetzung aus, so die Kölnerin. Bereits am Morgen nach der Wahl gab es zur Initiative „Kein Handschlag“ nicht nur einen Internetauftritt, sondern auch eine fertige Kampagne.
Gerade auch angesichts der Tatsache, dass vor 90 Jahren die NSDAP erstmals in den Thüringer Landtag gewählt wurde und sich Geschichte heute auf erschütternde Weise zu wiederholen drohe, sei eine Abgrenzung und auch eine veränderte Kommunikation notwendig – Ansätze wie die Hufeisentheorie, nach der die Extremismen von links und rechts einander näher als der Mitte seien und die gerade in der CDU auf viel Zuspruch trifft, seien dabei nicht zeitgemäß und zukunftsweisend, so die Aktivistin.
Denn ähnliche politische Patt-Situationen wie die im Thüringer Landtag drohten gerade mit Blick auf die Wahlen im kommenden Jahr nicht mehr nur in Sachsen-Anhalt, sondern genauso in Mecklenburg-Vorpommern oder bei den Kommunalwahlen 2020 in Brüngers Heimatstadt Köln. „Deswegen braucht es jetzt eine klare Haltung aller demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft gegenüber der AfD“, fordert sie. Das werde noch weitaus dringender mit Blick auf die Bundestagswahl in anderthalb Jahren. „Es muss feststehen, dass die Grenze entlang demokratischer Überzeugen verläuft.“
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