Bitte berühren — Deva Bhusha

Deva Bhusha ist Sexworkerin und Sexualbegleiterin – und hilft unter anderem Menschen mit Behinderung, das Bedürfnis nach Nähe und Intimität auszuleben. Ein Beruf, der Empathie und Durchsetzungsvermögen verlangt.
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Text: Eva Goldschald — Fotos: Johanna Lohr

Wer die Dienste von Deva Bhusha in Anspruch nimmt, möchte auf vielfältigste Art Sexualität erleben. Die 53-jährige arbeitet mit Menschen, die körperlich oder psychisch behindert oder blockiert sind und dadurch ein vermindertes oder kein Sexualleben mehr führen können – oder es noch nie konnten. Vor dem Gesetz gilt Bhusha als Prostituierte, besitzt auch einen entsprechenden Anmeldeschein, den sogenannten „Hurenpass“. Eine Kategorie, der sie sich allerdings nicht zugehörig fühlt. Denn ihre Arbeit hat therapeutischen Anspruch, basiert auf psychologischen Grundlagen und betrachtet Sex als ganzheitlichen Akt, der damit weit über Penetration hinausgeht.

Wer Deva Bhusha begegnet, trifft auf eine kleine, zierliche Frau, die nur so vor positiver Energie sprüht. Beim Sprechen gestikuliert sie wild, sodass sich die vielen Armreifen an ihren Handgelenken klimpern wie ein Windspiel bei Sturm. Bhusha gilt in der Sexualbegleitung als sogenannte „Übungsfrau“. Menschen dürfen sie berühren, mit ihr zusammen experimentieren, inklusive Eins-zu-Eins-Feedback zum Schluss. Auch das unterscheidet ihre Arbeit von klassischer Prostitution: „Wer zu mir kommt, der möchte etwas lernen, Erfahrungen sammeln, Nähe und Geborgenheit erfahren und wissen, wie guter Sex funktioniert. Prostitution greift da zu kurz“, erklärt Deva Bhusha. „Es geht viel um zärtliche Berührungen, sich gesehen und gehalten zu fühlen. Manchmal wird gekuschelt, manchmal massiert, manchmal geredet, manchmal gibt es mehr. Dafür muss sich die Situation für beide Seiten stimmig anfühlen.“ 

Bis auf zwei Frauen sind es aktuell überwiegend Männer, die Deva Bhushas Arbeit in Anspruch nehmen – die Paare nicht mitgezählt. Bei der Sexworkerin können sich aber auch queere Menschen melden. Auf Wunsch vermittle Bhusha an männliche Sexualbegleitende. „Ein gutes Netzwerk ist bei dieser Arbeit unerlässlich.“

Die meisten Männer mit Behinderung wünschen sich von der Sexworkerin Ideen, wie sie eine feste Freundin finden. Das seien Männer ganz unterschiedlichen Alters, die als Erwachsene teilweise noch immer in Jugendzimmern leben, in denen Fußballposter die Wand schmücken, beschreibt Deva Bhusha. „In Einrichtungen und von Verwandten werden diese Menschen überbeschützt. Erotische Stimmung kommt in solchen Momenten kaum auf“, weiß sie. Sie verspüre Mitgefühl und das Bedürfnis, den Menschen in die reale Welt mitzunehmen. Mitleid sei aber fehl am Platz, denn das halte die Menschen in ihrem überbeschützten Space fest und mache sie klein. Daher gibt Bhusha ehrliches Feedback und hält keinerlei Illusionen aufrecht. 

„In Heimen oder bei den Eltern werden Menschen mit Behinderung oft in Watte gepackt und isoliert“, stellt Bhusha fest. „Hier findet wenig Entwicklung statt, egal ob sie 20 oder bereits 40 oder 50 sind. Das gilt auch, wenn sich jemand in mich verliebt. Natürlich passiert das und es kommt zu Schmerz und Liebeskummer. Aber das gehört zum Leben. Ohne Enttäuschung keine Entwicklung“, meint die Sexualbegleiterin. „Sexualität kennen die Menschen, die zu mir kommen, meistens aus Pornos und haben daher nicht selten unrealistische Vorstellungen davon, was wirklich zwischen zwei Personen passiert.“

Deva Bhusha betreut nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch jene, die noch nie sexuelle Erfahrungen sammeln konnten, obwohl es ihnen körperlich möglich gewesen wäre. „Mein ältester Kunde war 80 Jahre alt und hatte noch nie Sex. Er genoss die Berührungen und die Geborgenheit bei mir.“ Gründe für diese „Spätzündungen“ gebe es viele, meistens haben diese Menschen einfach den Moment verpasst und schämen sich mehr und mehr dafür, je älter sie werden. Irgendwann ergibt es sich einfach nicht mehr. Da hilft es, nach und nach in mehreren Sitzungen verschiedenste Erfahrungen nachzuholen.

Fokus auf Behinderungen

Auf die Idee, Sexarbeit für Behinderte anzubieten, kam Deva Bhusha eher durch Zufall. Als Kind vermisste sie intensiven Körperkontakt. Sie weiß, wie es ist, wenig berührt zu werden, sich nach Nähe zu sehnen und das Gefühl zu haben, dass etwas fehlt. So lernte sie spät, ihre Sexualität wirklich zu genießen. Erst als sie sich mit Massage und Tantra auseinandersetzte, lösten sich die Blockaden in ihr – Schritt für Schritt. Sie begann andere Menschen zu massieren und merkte, wie wichtig es für sie war, zu berühren.

Schließlich absolvierte Deva Bhusha eine Ausbildung zur Tantra-Masseurin und setzte sich mit verschiedenen Praktiken wie Bondage auseinander. „Ich liebe Bondage, aber nicht auf die masochistische, sondern eher auf die spielerische, fantasievolle Art. Ein richtiges Heilmittel mit psychologischer Wirkung. Das ist bekannt von Babies. Die wollen gerne festgehalten werden und lieben es, in einer Art Kokon zu liegen. Bondage kann einen ähnlichen Halt und Geborgenheit vermitteln und der Verstand geht dabei Kaffeetrinken. Die Seile stimulieren dabei die Amygdala. Das Gehalten werden fühlt sich an wie Schwerelosigkeit, das ist eine ganz besondere Körper-Sensation“, schwärmt Bhusha.

Während ihrer Ausbildungen hatte die gebürtige Dresdnerin die Idee, mit Sterbenden zu arbeiten. „Viele fragen sich ja am Ende ihres Lebens, was sie alles verpasst haben oder gerne noch einmal ausprobiert hätten. Natürlich verbergen sich dahinter oft sexuelle Wünsche und die Sehnsucht, tief berührt zu werden. Ich wurde dahingehend aber nicht fündig“. Eine Freundin gab ihr stattdessen den Tipp, auf diese Art mit behinderten Menschen zu arbeiten und empfahl ihr das Institut zur Selbstbestimmung Behinderter (ISBB). „Ich hatte bis dahin nie Kontakt mit behinderten Menschen, habe nie an sie gedacht. Eher verspürte ich eine Scheu. Ich wollte wissen, wieso das so war, schließlich sind es Menschen wie du und ich.“

An sechs Wochenenden traf sie dort auf Menschen mit und ohne Behinderung. „Die Kurse verliefen mehr praktisch als theoretisch, ganz unterschiedliche Menschen kamen dort hin, um ihre Sexualität auszuleben. Die zwischenmenschlichen Begegnungen wurden psychologisch ausgewertet, damit das Thema Mitleid keinen Platz in den Begegnungen findet. So lernte ich zielführend mit den eigentlichen Wünschen zu arbeiten“, sagt Bhusha.

Einer ihrer ersten Kunden war ein sehr selbstbestimmter Mann mit einer Muskelerkrankung. Wenig später wurden beide ein Paar und sind trotz Trennung in gutem freundschaftlichem Kontakt. „Durch Andi bin ich noch mal ganz anders in das Thema Behinderung eingetaucht. Was es bedeutet, in Deutschland 24 Stunden Assistenz zu bekommen, habe ich durch ihn erfahren. Er hat es sich erkämpft, in einer eigenen Wohnung zu leben und ich war von seinem Mut und Enthusiasmus begeistert. Geistig war er voll da, ein toller, durchsetzungsfähiger Typ. Das fand ich anziehend“, beschreibt Deva Bhusha.

Bei vielen ihrer Interessierten geht es darum, wieder in einen sinnlichen Kontakt zu kommen. Manchmal auch, sich aus einer Isolation wieder in Begegnungen zu wagen. Penetrations-Sex ist dagegen eher selten. Es geht mehr um berühren, streicheln, umarmen. Ob genitale oder Ganzkörpermassage – Bhusha hört zu, forscht, experimentiert. „Ich kann wirklich bei jedem etwas bewirken, seien es nur kleine Mikrobewegungen, die viel ausmachen. Wenn jemand nur noch leicht Hände und Finger bewegen kann, dies aber ganz sanft und präsent macht, kann das ziemlich antörnen.“ Sie ist fasziniert davon, wie fein etwa Personen mit Cerebralparese (Spastik) berühren können, obwohl die Feinmotorik eingeschränkt ist. Für Bhusha ist jeder Mensch, jede Behinderung ein eigenes Universum, das es zu erforschen gilt. „Ich frage mich, wie viel können Menschen mit Querschnittslähmung noch fühlen und wie fühlt sich genau die Stelle an, an der sich das Fühlen und Nicht-Fühlen begegnen?“

Viel mehr als Penetration

Sexualbegleitung und Sexualassistenz haben unterschiedliche Ziele. Assistenz bedeutet zum Beispiel, dass Menschen ziemlich gut wissen, was sie möchten, es jedoch selbst nicht allein umsetzten können. Dazu zählt, sich selbst zu befriedigen, wenn es ihnen körperlich nicht möglich ist. Außerdem unterstützt Deva Bhusha Paare. „Ich zeige Wege, wie sich das Paar trotz Behinderung nah sein kann. Das ist nicht immer einfach, aber es geht. Bei körperlich behinderten Menschen ist es von Vorteil, wenn nur einer diese Einschränkung hat, ansonsten wird es wirklich schwer“, sagt Deva Bhusha. Bei solchen Paaren geht es manchmal darum, dass nicht immer nur eine Person aktiv wird.

„Es kann ganz schön frustrieren, wenn eine Seite immer alles machen muss. Ich helfe dabei, dass auch der Part mit Behinderung seinen Teil zum erfüllten Sexleben beitragen kann.“ Das gelingt Deva Bhusha unter anderem mit Bondage oder anderen Hilfsmitteln. So kommen die Paare näher zusammen, auch wenn die Körper zum Beispiel durch Spastik oder Muskelerkrankungen teilweise versteift sind. 

Anders verhält es sich bei der Sexualbegleitung. Hier geht es darum, den Menschen auf dem Weg in eine erfüllte Sexualität zur Seite zu stehen. Denn viele wüssten gar nicht, worauf sie eigentlich stehen, weil sie keine Möglichkeiten hatten, sich auszuprobieren. Fast immer geht ein psychologisches Thema damit einher. In vielen Fällen wünschen sich die Klienten eine Partnerin und wissen nicht, wie sie das am besten anstellen. Deshalb hilft Bhusha ihnen manchmal dabei, in Datingportalen interessanter aufzutreten.

Menschen mit Behinderung treten auf ganz unterschiedliche Weise und je nach Möglichkeit an sie heran. Einige rufen an, andere schicken eine Sprachnachricht, wieder andere schreiben ihr. Oft sind es auch Eltern, Geschwister oder Betreuende aus den Pflegeeinrichtungen, die um Hilfe bitten. Gerade in Heimen komme es häufig zu Übergriffen, so die Sexualarbeiterin, weil die Menschen nicht wüssten wohin mit ihren Trieben. „Sie werden dort nicht richtig aufgeklärt, wissen nicht, wie es möglich ist, respektvoll in einen sinnlichen Kontakt zu gehen. Das liegt hauptsächlich daran, dass die meisten Einrichtungen in irgendeiner Form katholisch oder evangelisch gefördert werden. Sexualität hat dort wenig Platz und gilt als Tabu“, sagt Bhusha. Über die Jahre habe sich dort nicht so viel verändert: Erst wenn es zu Übergriffen komme, würden Rufe nach Unterstützung laut. Auch für Eltern behinderter Kinder sei es oft schwer, anzuerkennen, dass ihr Kind ein erwachsener Mensch mit Bedürfnissen ist. 

Was bewegt einen Menschen wie Deva Bhusha dazu, Sexualbegleitung in dieser Art anzubieten?„Schwer zu sagen, momentan fühle ich mich ein bisschen verpflichtet, weil es hier niemand anderes macht“, sagt sie. Die Sexualarbeiterin betreut weitläufig das Gebiet rund um München, weit nach West und Ost und bis in den Süden. Die nächsten Sexualbegleitenden arbeiten im Nürnberger Raum, dazwischen gibt es nichts dergleichen. Manchmal ist Deva Bhusha frustriert, weil niemand sie vertritt oder sich mit ihr die Arbeit aufteilt.

Viele schöne positive Erfahrungen gehen in diesem Beruf mit negativen einher. Es mache Deva Bhusha manchmal betroffen, wie wenig selbstbestimmt Menschen mit Behinderung leben. „Jene, bei denen die Behinderung schleichend oder plötzlich eintrat, zum Beispiel bei MS oder Querschnitt, sind viel selbstbestimmter als jene, die ihr Leben lang bei den Eltern oder in Heimen wohnen. In vielen Einrichtungen werden sie regelrecht klein gehalten, da alles bestimmt und geregelt wird. Selbstverantwortung kann so nicht aufkommen“, meint Deva Bhusha. Bezahlt wird ihre Dienstleistung oft vom Taschengeld oder die Familie kommt dafür auf. Eine Stunde Sexualbegleitung kostet bei ihr 100 Euro plus Fahrtkosten. 

Politik stellt hohe Hürden

Deva Bhusha möchte nicht, dass die Krankenkasse das bezahlt, schließlich sei Sex ja keine Krankheit. Allerdings wünscht sie sich, dass das persönliche Budget von Menschen mit Behinderung nicht so streng überwacht wird, besser gesagt, Prostitution und körperliche Dienstleistungen dabei nicht ausgeschlossen wird. Sie ist der Meinung, dass auch Menschen mit Behinderung so gut es geht selbst über ihr Leben bestimmen und frei über ihr Budget verfügen sollten. Datenschutz oder Privatsphäre gebe es bei ihnen ohnehin kaum, alles würde offengelegt. Auch den Lohn in den Werkstätten bezeichnet sie nicht als Wertschätzung, sondern teilweise Schikane. „Die machen monotone Arbeit, die kein anderer machen möchte“, so Bhusha. Oft würden geistig und körperlich behinderte Menschen dort zusammengewürfelt, ohne den individuellen Ansprüchen gerecht zu werden.

Es stimme sie traurig, dass manche Einrichtungen teilweise wenig Interesse an den Menschen und deren ganz natürlichen Bedürfnissen nach Berührung und Sexualität zeigen. Zum Glück gebe es aber genauso sehr engagiertes Pflegepersonal, das sich Gedanken darum macht und mehr und mehr nach Lösungen sucht.  

Bis 2017 bildete die ISBB etwa 70 Sexualbegleitende aus. Wie viele von ihnen es heute in ganz Deutschland gibt, ist nicht genau erfasst. Offiziell ist Sexarbeit in Gemeinden verboten, in den weniger als 30 000 Einwohnende leben – sogenannte Sperrbezirke. Orte werden ebenso zu Sperrbezirken, sobald eine Kindertagesstätte oder eine Tagesmutter in unmittelbare Nähe zieht. Dann muss die Sexarbeit weichen, auch wenn sie zuerst da war. Auch wenn Bhusha die Menschen direkt in den Einrichtungen besucht, ist das noch immer ein Tabu. „Ich wünsche mir, dass die Sperrbezirksverordnungen in Einrichtungen wie diesen aufgehoben werden. Es gibt keinen sinnvollen Grund dafür, Menschen vor meiner Arbeit zu schützen“, sagt Bhusha.

Zum schlechten Image würden auch Medienkampagnen gegen Prostitution beitragen. Das im Juli 2017 verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz mache die Sexarbeitenden höchstens fürs Finanzamt sichtbar, geschützt werde dadurch niemand, meint sie. „Sexarbeit innerhalb des Berufsfeldes ist differenzierter zu betrachten. Tantramassage und Sexualbegleitung sind etwas ganz anderes als Prostitution an sich. Auch Escort, Dominas und Doms haben wieder andere Themenbereiche. Trotzdem läuft alles unter demselben Namen und mit den gleichen Regularien“, sagt Bhusha. „Wir Sexarbeitenden haben sogar einen Berufsverband gegründet, sind sehr politisch aktiv, aber keiner möchte mit uns reden. Über uns wird geredet, als wären wir nicht selbst in der Lage zu entscheiden, was sinnvolle und unterstützende Konzepte sind“.

Bevor das Gesetz vor gut sechs Jahren verabschiedet wurde, war nicht klar definiert, dass zum Beispiel die Tantramassage unter Prostitution fällt. Davor konnten die Gemeinden frei darüber entscheiden. Die neue Gesetzgebung führte dazu, dass beispielsweise viele Tantramassage-Studios schließen mussten, weil sie sich plötzlich im Sperrbezirk befanden. „Es ist traurig, seinen Job von Herzen lieben, wenn die Gesellschaft aber dagegen arbeitet. Manche Menschen denken nur in Klischees, die ihnen vorgekaut werden. Aussagen wie ich ‚müsse psychologisch verwirrt‘ sein, dass ich so einen Beruf ausübe oder ‚jede Sexarbeiterin müsse mal vergewaltigt‘ worden sein sind da ganz hoch im Kurs“, sagt Bhusha.

„Wir halten uns für eine aufgeklärte Gesellschaft, dabei drängen wir Menschen, die nicht unseren Normen entsprechen, einfach weg. Es gibt so viele Tabus, alle leben in einer eigenen Blase.“ Deva Bhusha wünscht sich deshalb, dass das Thema Sexualität gerade in Heimen für Menschen mit Behinderungen viel mehr Aufmerksamkeit bekommt und anerkannt wird. „Ich sage immer: Wer eine Beziehung will, muss seine Persönlichkeit strahlen lassen. Gelingt das, führen Menschen ein ganz neues und selbstbestimmteres Leben.“

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