Text: Micha Steinwachs — Fotos: Benjamin Jenak
Als sich die Pandemie im Frühjahr 2020 in Europa ausbreitete, wurde das Corona-Virus von vielen noch als eine Gefahr von außen wahrgenommen. Oft wurde vom chinesischen Wuhan berichtet – jener Stadt, in der das Virus vermutlich seinen Ursprung nahm.
Vornedran stand Ex-US-Präsident Donald Trump, der ein „China-Virus“ propagierte. Für asiatisch gelesene Menschen wie Thủy-Tiên Nguyễn bedeutet die mediale Verknüpfung von Corona mit „Asien“ vor allem eines: mehr Rassismus. Dagegen wehrt sie sich, indem sie sich mit anderen Menschen verbündet. Im Februar vergangenen Jahres schrieb die 26-Jährige auf Twitter von einem Übergriff, der ihr an einem Kölner Bahnhof passierte. In mehreren Tweets berichtete Thủy-Tiên Nguyễn davon, wie sie von einer Gruppe Männer rassistisch beschimpft wurde. Die Zeilen verfasste sie gegen ein „Gefühl der Machtlosigkeit“, wie sie es nennt.
Nguyễn verfolgte bereits vor dem Vorfall, wie Menschen in anderen Ländern von ganz ähnlichen Übergriffen erzählten. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis in Deutschland asiatisch gelesene Personen mit dem Virus in Verbindung gebracht und darauf gemieden, beleidigt oder angegriffen werden würden. Ihr Beitrag auf Twitter war für Nguyễn ein Initialmoment, stärker gegen anti-asiatischen Rassismus vorzugehen. Ihren Tweet beendete sie mit einem Hashtag, den sie zuvor schon in anderen Sprachen in den sozialen Netzwerken entdeckte: #IchBinKeinVirus.
Rassismus kennt Thủy-Tiên Nguyễn schon seit ihrer Kindheit. In einem Dorf in Nordrhein-Westfalen ist sie aufgewachsen. Dort musste sie das Gefühl kennenlernen, dass andere Leute sie als „fremd“ wahrnehmen, erzählt sie. Mittlerweile weiß Nguyễn, sich gegen dieses Gefühl zu behaupten. „Ich bin eine queere Asiatische Deutsche. Beides groß geschrieben, als politischer Begriff und als Selbstbezeichnung“, betont sie.
Mit der Pandemie habe anti-asiatischer Rassismus eine andere Dimension angenommen. Plötzlich wurden asiatisch gelesene Menschen unter den Generalverdacht gestellt, das Virus in sich zu tragen und zu verbreiten. Im Netz lässt sich das alles nachlesen. Dort schreiben negativ betroffene Personen von ihren Erfahrungen seit dem Ausbruch vor über einem Jahr. Die Internetseite ichbinkeinvirus.org sammelt all die Geschichten und macht damit antiasiatischen Rassismus sichtbar. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet über eine Zunahme der Diskriminierungen.
Reproduktion von Rassismus
„Solche Anfeindungen kamen aber nicht erst mit Corona“, betont Thủy-Tiên Nguyễn. „Das ist wichtig zu benennen, denn anti-asiatischer Rassismus hat eine lange Tradition in Deutschland“, ergänzt sie. Viele würden denken, dass es witzig sei, wenn sie Corona mit Asien in Verbindung brächten, so die Aktivistin. Dabei habe diese Form des Rassismus historische Wurzeln. „Die ‚gelbe Gefahr‘ ist eine Metapher aus Kolonialzeiten, die China als Bedrohung für den ‚Westen‘ darstellen sollte“, beschreibt sie ruhig.
Thủy-Tiên Nguyễn möchte, dass Menschen lernen, wenn sie ihr zuhören. Und sie fordert Veränderung: „Ich will, dass jene, die nicht negativ von Rassismus betroffen sind, sich dafür sensibilisieren und letztlich eine aktiv antirassistische Haltung einnehmen.“ Auch die Gewalt gegen asiatisch gelesene Menschen sei nichts Neues, meint Nguyễn. Als Beispiel erinnert sie an die rassistischen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen Anfang der neunziger Jahre. Dort wurde ein vorwiegend von vietnamesischen Menschen bewohntes Wohnhaus durch Neonazis tagelang belagert und angegriffen.
Als Problem nehme sie wahr, dass in der Berichterstattung zur Pandemie das Klischee vom „ekligen Essen aus Asien“ ständig reproduziert werde. Viele Geschichten zu Corona zeigen zudem neben Modellen des stachelig-runden Virus häufig Bilder von asiatisch gelesenen Menschen. Thủy-Tiên Nguyễn will das nicht hinnehmen und beginnt öffentlich darauf aufmerksam zu machen. Über ihre Kanäle in den sozialen Netzwerken übt sie Kritik an Medien, die Rassismus reproduzieren.
Die Mittzwanzigerin bleibt nicht ungehört – sogar die Tagesschau reagierte auf ihre Kritik. Dabei sei es zweitrangig, dass sie sich persönlich angegriffen fühle, meint sie. „Es geht darum, dass das Zusammenspiel aus Text und Bildern ein rassistisches Framing schafft.“ Für ihren Einsatz und ihre deutlichen Worte im Netz wird Nguyễn angefeindet. Hassmails erreichen sie und sogar ihre Wohnadresse musste sie „dringend vom Melderegister nehmen“, beschreibt sie die Situation.
Durch ihre aufrüttelnden Postings in den sozialen Netzwerken wurde der Verein „Korientation“ auf sie aufmerksam. Die postmigrantische Selbstorganisation versteht sich als Zusammenschluss von Asiatischen Deutschen und asiatischen Menschen, die meist schon in zweiter Generation in Deutschland leben und zum Teil keine eigene Migrationserfahrung haben. Sie kontaktierten Nguyễn und gründeten gemeinsam die Dokumentationsstelle für anti-asiatisch-rassistische Presseberichte im Kontext von Corona, in der sie sich seitdem ehrenamtlich engagiert. In Kooperation mit der Initiative der „Neuen Deutschen Medienmacherinnen“ thematisierten sie im letzten Jahr die mediale Verknüpfung von Corona und „Asien“ in einer ersten Pressemitteilung.
Ihre Arbeit führen sie immer noch fort – und die zeigt, dass sich ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie an der medialen Berichterstattung nur wenig geändert hat. Denn immer wieder würden Medien die Erzählung bedienen, dass asiatisch gelesene Menschen etwas mit dem Virus zu tun hätten, und befördern dadurch Ressentiments.
Zugang zur eigenen Identität
Aufhören wollen Nguyễn und „Korientation“ mit ihrer Dokumentation daher nicht. „Wir sammeln weiter und halten der Medienwelt den Spiegel vor: ‚Wir sehen, was ihr macht und wir holen das immer wieder raus, wenn ihr das wieder macht‘“, bemerkt Nguyễn. Ihren Einsatz nehmen sie bei „Korientation“ mit großer Bewunderung wahr. Als sie dazukam, habe es einfach „geflowed“, heißt es. Inzwischen hat sie viele neue Leute kennengelernt. Die Gruppe DAMN (Deutsche Asiatinnen, Make Noise) zum Beispiel und die Menschen hinter der Seite ichbinkeinvirus.org. Viele kenne sie nur vom Bildschirm. Durch die digitale Vernetzung konnten sie Aktionen starten und sogar ein digitales Asian German Festival auf die Beine stellen. Dort feierte auch ihr Podcast „The Bubbly T’s“ Premiere, den sie gemeinsam mit einer Co-Moderatorin betreibt.
Mit ihren Projekten will Nguyễn etwas bewegen. „Wir wollen mit unseren Themen auch in die weiße Mehrheitsgesellschaft hineinwirken und zeigen, dass wir als postmigrantische Realität da sind.“ Gerade zu Beginn der Pandemie habe es geholfen, sich zu vernetzen.
Neben ihrem Studium ist Nguyễn als freischaffende Tanztheaterpädagogin und politische Bildnerin tätig. „Ich mag es einfach mit Menschen zu arbeiten“, sagt sie und strahlt. Es gebe ihr viel Kraft, wenn sie anderen dabei helfen könne, sich selbst Mut zu machen. In Workshops mit Jugendlichen will sie anderen Menschen das ermöglichen, was sie früher selbst gerne gehabt hätte: einen positiven und gestärkten Zugang zu ihrer eigenen Identität. Am Tanzen gefalle ihr vor allem, dass Menschen durch Bewegungen ausdrücken, was sie nicht so einfach in Worte fassen können.
„Viele haben sich vor meinem Workshop nie wirklich mit sich selbst beschäftigt, weil sie eher daran denken, Eltern und befreundete Menschen zu unterstützen. Daher befassen sie sich wenig mit ihren Stärken.“ Durch den körperlichen Zugang beim Tanzen sei ihnen das aber möglich. Auch diese Momente gehören für sie zum letzten Jahr dazu. In ihrem Aktivismus blüht Nguyễn spürbar auf. Es gibt ihr eine „sinnvolle Aufgabe“ – und wenn sie anderen dabei helfe, sich besser auszudrücken, „dann stärke ich mich am Ende selbst“.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!