Text: Susanne Kailitz — Fotos: Benjamin Jenak
Daran, wann sie das letzte Mal in einem Supermarkt war, kann Nicole Klaski sich nicht genau erinnern. „Aber es muss Jahre her sein“, erzählt die Kölnerin. „Und ich habe auch wirklich überhaupt kein Bedürfnis danach, sondern kann mir das zum Glück sparen.“ Der Grund ist Klaskis eigenes Geschäft. In „The Good Food“ werden Lebensmittel verkauft, die sonst verdorben oder weggeworfen worden wären. Winzige Kartoffeln, Äpfel mit Flecken, krumme Gurken oder Joghurt, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Auch Backwaren einer großen Bäckerei liegen in ihren Läden aus – vom Vortag und noch immer richtig lecker.
Drei Standorte zählt Klaskis Start-up inzwischen, das sie vor drei Jahren gegründet hat. Möglich machen das Kooperationen mit Landwirtschaftsbetrieben aus der Region und bundesweit verteilten Unternehmen. Während letztere an Klaski Waren abgegeben, die sie nicht mehr verkaufen können oder wollen, holt die Gründerin das Obst und Gemüse direkt von den Feldern. „Nachernte“ heißt das. „Wir sammeln die Lebensmittel, die sonst untergepflügt werden würden.“ In „The Good Food“ werden die Sachen verkauft, aber nicht zu einem festen Preis: Alle zahlen, was es ihnen wert ist. Das, so Klaski, sei der Einstieg in das, was sie sich wünscht: „Die Menschen sollen darüber nachdenken, was Lebensmittel wirklich wert sind – weil darin Arbeit steckt oder Tiere sterben mussten. Der achtlose Konsum stört mich.“
Eine absurde Verschwendung
Dass Klaski einmal zu Deutschlands bekanntester Lebensmittelretterin werden würde, war so nicht vorgesehen. Nach dem Abitur studierte die 38-Jährige Jura, merkte aber schnell, „dass ich in dem Bereich niemals arbeiten möchte“. Während ihrer Studienzeit habe sie in einer Kanzlei gejobbt, erinnert sie sich, „und es hat mich massiv gestört, dass es schien, als müssen sich besonders junge Anwältinnen besonders behaupten – und das über reguläre Arbeitszeiten hinaus. Es war dort üblich, dass die jungen Anwältinnen den männlichen Partnern zugearbeitet haben und diese dann auch die Lorbeeren für die Arbeit eingeheimst haben. Das war ein Umgang, den ich einfach nicht möchte.“
Nach dem Bachelor folgte ein Masterstudium in Australien, später Aufenthalte in Indien, Nepal und Bangladesh. Diese Zeit sei wohl auch der Startschuss für ihr heutiges Leben gewesen, meint Nicole Klaski. „Mir ist dort klargeworden, wieviele Menschen mit ganz wenigen Ressourcen auskommen – und wie unglaublich verschwenderisch wir hier in Deutschland leben“.
Es sei ihr irgendwann „vollkommen absurd“ vorgekommen, wieviele Lebensmittel, die noch vollkommen in Ordnung sind, in Deutschland täglich entsorgt werden. Einer Studie des WWF zufolge werden in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Eine Untersuchung der Universität Stuttgart kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland pro Kopf und Jahr 85 Kilogramm Lebensmittel in der Tonne landen. Gut die Hälfte davon ist Obst und Gemüse, gefolgt von Back- und Teigwaren. Die Sachen sind nicht schlecht, nur eben nicht mehr ganz frisch, haben Flecken oder Druckstellen oder entsprechen nicht den Normmaßen, die Supermärkte bevorzugen, um damit zum Kauf zu verführen. Die Verbraucherzentrale hat zudem ausgerechnet, dass aus privaten Haushalten jährlich Lebensmittel im Wert von circa 20 Milliarden Euro entsorgt werden.
Lebensmittel aus Containern
Zur Verschwendung tragen jedoch alle bei: Unternehmen, Landwirtschaft, Handel und Verbrauchende. In der Landwirtschaft werden Lebensmittel, die in Form, Größe oder Farbe von den Anforderungen des Marktes abweichen, nicht geerntet, sondern wieder unterpflügt, weil der Handel die nicht normgerechten Produkte einfach nicht abnimmt, Groß- und Einzelhandel sortieren Waren rigoros aus, die bald das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht haben.
Und selbst die Rechtsprechung hat ihren Anteil an der Verschwendung: Trotz vieler Bemühungen engagierter Menschen ist das sogenannte Containern, also das Mitnehmen von Lebensmitteln etwa aus den Abfallbehältern von Supermärkten, verboten. Erst im August stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass Menschen, die Lebensmittel aus Supermarkt-Müllcontainern retten, sich strafbar machen. Zur Begründung hieß es, Eigentum „an wirtschaftlich wertlosen Sachen“ dürfe strafrechtlich geschützt werden – und dazu würden die Supermärkte mit der Entsorgung Lebensmittel erklären, die eigentlich noch bedenkenlos verzehrt werden könnten.
Tauschgeschäfte im Privaten
Dafür findet Nicole Klaski nur ein Wort: „absurd“. Doch anstatt sich über unverständliche Gerichtsbeschlüsse zu ärgern, hat sie es zu ihrer Mission gemacht, Lebensmittel zu retten; erst als Geschäftsführerin der Initiative Foodsharing, bei der sich Menschen zusammenschließen, um überflüssige Lebensmittel zu verteilen, dann als Gründerin von „The Good Food“. Inzwischen hat die Idee des Lebensmittelrettens viele Gleichgesinnte gefunden: Allein in Berlin kümmern sich rund 25 Organisationen darum, Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, einzusammeln und zu verteilen. Im Internet lassen sich Gemüserettungsboxen bestellen, über die App Toogoodtogo bieten Restaurants und Bäckereien am Abend übriggebliebenes Essen zu reduzierten Preisen an.
Klaski könnte also von sich behaupten, Trendsetterin zu sein – wenn Selbstdarstellung ihr nicht so wesensfremd wäre. Sie tut sich schon schwer mit dem Gedanken, dass sie inzwischen mit ihrer Arbeit Geld verdient. „Aber ich habe bei Foodsharing festgestellt, dass ich das Ganze zwar irrsinnig gern geldfrei gemacht habe, wir damit aber an Grenzen stoßen. Und das Geld, das wir mit dem Laden verdienen, benötigen wir, um die großen Mengen an Lebensmitteln zu retten.“ Sie selbst verzichtet rigoros auf Konsum.
„Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich überhaupt keine neu produzierten Dinge mehr möchte; weder bei Lebensmitteln noch bei Möbeln oder Kleidung.“ Was Klaski braucht, das tauscht oder rettet sie in aller Regel – und ihre Mutter, so erzählt sie lachend, sei immer völlig verzweifelt, „wenn ich zum Geburtstag einfach keine Wünsche habe“.
Nachhaltig leben als Privileg
Ihr Lebensstil sei nachhaltig, aber gleichzeitig auch wahnsinnig privilegiert, sagt Klaski. „Mir ist vollkommen klar, dass nicht alle Menschen Zugriff auf die gleichen Informationen oder den Luxus haben, Klamotten mit fünf Freundinnen hin- und hertauschen zu können. Ich habe studiert, ich habe Zugang zu den Informationen, die ich brauche, um so leben zu können und ich kann es mir leisten, dafür einen gewissen Aufwand zu betreiben. Das ist nichts, was allen offen steht.“ Ihr sei sehr klar, dass das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln und das Bedürfnis, nicht sinnlos zu konsumieren, in ihrem Umfeld weit verbreitet sei, in großen Teilen der Bevölkerung aber nicht geteilt werde. Doch sie habe im Ausland gesehen, dass die Dinge sich ändern können.
„In Indien und Nepal gehört es bei Hochzeiten dazu, riesige Büffets aufzufahren. Und obwohl es viele Menschen gibt, die nicht genug zu essen haben, ist es kulturell ziemlich verpönt, übrig gebliebenes Essen anzunehmen.“ Genauso sei es bei ihren ersten Versuchen gewesen, gebrauchte Kleidung zu tauschen. „Da waren die Leute total fassungslos darüber, dass diese ,Westeuropäerin’ ihre getragenen Sachen wollte.“ Doch inzwischen habe sich einiges verändert: „Meine indische Freundin hat jetzt ihren eigenen Kleiderkreisel.“
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