Text: Tom Waurig — Fotos: Benjamin Jenak
Es sind die penetranten Blicke auf den langen S-Bahn-Fahrten raus aus der Stadt, die Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo resignieren lassen. Diese Gesten, die für andere kaum sichtbar sind. Drastische Kommentare, auf die niemand reagiert. Eine Tortur für den großgewachsenen Mann, eine ständige Konfrontation mit der Frage des Andersseins, die für ihn so gar keine Rolle spielt, für andere umso mehr. Tegouffo weiß um die bedrohliche Stimmung, die alltäglichen Feindseligkeiten. Deutschland hat ein Rassismusproblem, ein schwerwiegendes. Und eins, das dem Terror den Boden bereitet.
„Rassismus ist ein Gift“, so hatte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenige Stunden nach dem Terroranschlag von Hanau formuliert und mittlerweile sogar einen neuen Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus einberufen. Zehn Menschen starben im Februar in der hessischen Stadt, erschossen von einem Neonazi. Es war die zweite Terrortat binnen weniger Monate, die eine ganze Republik erschütterte. In Teilen hilflos schien die Politik zu sein, das Land geschockt vom Hass, der immer unkontrollierbarer wirkt.
Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo lebt in Berlin, pendelt allerdings fast täglich nach Brandenburg. Der Arbeit wegen. Beim Flüchtlingsrat bringt er Menschen mit Migrationsgeschichte in Arbeit, schafft Kontakte zu Unternehmen oder hilft bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. Die meisten, erzählt er, würden sich nach Stellen in der Hauptstadt sehnen, weit weg vom ländlichen Umland. Denn dort seien die Anfeindungen oft nicht mehr zu ertragen. Mit der Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten seit 2015 hätten ablehnende Haltungen weiter zugenommen, beobachtet Tegouffo.
Selbst Engagierte, die damals noch Deutschkurse angeboten haben, hätten sich zurückgezogen, wegen des gesellschaftlichen Drucks. Andere hätten aufgehört, weil ihre Frustration zu groß war. „Und das vergiftete Klima im Land macht es schwierig, neue Menschen zu finden“, weiß Tegouffo. Die AfD allein sei nicht das Problem, meint er. Die rassistischen Kommentare der Rechtsaußen-Partei versuche er weitestgehend zu ignorieren. Störender seien dagegen Aussagen wie die von CSU-Innenminister Horst Seehofer, der die Migration die „Mutter aller Probleme“ nannte.
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Tegouffo kam 2001 zum Studieren von Kamerun nach Potsdam. Ob er sich heute hier wohl fühlt? Es ist eine Frage, die ihn sichtlich aufwühlt. Eine, die sich nicht ohne langes Zögern beantworten lässt. Tegouffo schaut suchend nach draußen, versucht sich an einer Antwort, die er wenig später doch wieder unterbricht. Familiär sei er zufrieden, beginnt er, mit seiner Partnerin und einem Sohn im Kita-Alter. Doch gesellschaftlich gebe es noch immer riesige Lücken. „Es macht keinen Spaß, über positive Erfahrungen zu berichten, weil das Negative überwiegt“, fasst er zusammen.
Und er wiederholt schließlich auch das, was die meisten Menschen mit Migrationsgeschichte zu erzählen haben – die hohen Ansprüche, die verlangt würden, um überhaupt akzeptiert zu werden, die fehlende Teilhabe und Sprachbarrieren. „Die Hürden sind immens und beurteilt wird meistens danach, ob ich Dativ und Akkusativ immer korrekt einsetze. Das lassen sie dich deutlich spüren.“ Tegouffo kennt viele, die das irgendwann nicht mehr aushalten würden. Auch weil Menschen, die hier geboren sind, für sich beanspruchen, zu bestimmen, „wer sich wie zu integrieren hat“.
Die Migrationspolitik nennt Tegouffo das einzige Politikfeld, „das nicht ernstgenommen wird“. Er wünscht sich Parteien und Abgeordnete, die sich diesem Thema stellen, die näher dran sind an den Problemen und Wünschen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Häufig werde nur über sie statt mit ihnen gesprochen – nicht allein im Bundestag, sondern genauso in TV-Talkshows. Dort würde Tegouffo immer wieder den gleichen Gesichter begegnen. Viel zu selten kämen Menschen zu Wort, „die Graswurzelarbeit leisten“ – also Menschen wie er.
Tegouffo begann früh sich zu engagieren, seine Meinung zu sagen, erzählt er, schon in Kamerun – und auch politisch. In Deutschland blieb er dabei, gehörte zum ASta der Universität Potsdam und ist bis heute Teil der afrikanischen Studentenunion. Später fand Tegouffo zur Flüchtlingsinitiative Brandenburg, war an Demonstrationen und Kampagnen beteiligt. Er wollte damals raus aus dem studentischen Milieu. Denn die meisten Landsleute, auf die er in Deutschland getroffen sei, waren Geflüchtete, viele ohne Aufenthaltsstatus, sondern „nur geduldet“, erinnert er sich.
Und weil ihm die neue Sprache schon damals sehr vertraut war, half er anderen beim Lesen von Briefen, bei Behördengängen und gewährte sogar Asyl in seiner Wohnung. Er habe das als seine Pflicht verstanden, meint er heute. Eines hingegen müssten andere aufarbeiten: „Der Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist nicht mein Problem, sondern das der Mehrheitsgesellschaft. Sie erwarten von mir, dass ich mich verteidige, aber das werde ich nicht tun. Ich kann auf idiotische Kommentare reagieren, eine Antwort geben, aber das ist meistens nur verschenkte Zeit.“
Dieses Land sei ohne Migration nicht mehr zu denken, stellt Tegouffo klar. „Das sollten wir einmal festhalten, um zu überlegen, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.“ Den deutschen Pass hat er bis heute nicht beantragt, aus Überzeugung. Er weiß um die Vorzüge, das visafreie Reisen, sieht aber genauso die Probleme im Land. „Es geht mir nicht um den eigenen Vorteil. Ich möchte mich damit identifizieren und meinem Sohn erklären können, warum ich mich dafür entschieden habe. Ich will sicher sein, dass ich dazugehöre. Doch dieses Gefühl habe ich bislang nicht.“
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!