VEranTwOrtung — Kolumne Sookee

News Flash: Wir leben in einer Erwachsenenwelt. Was erstmal unspektakulär klingt, wird zum Problem, wenn Kinder und Jugendliche darunter leiden müssen – und das tun sie. Eine Auseinandersetzung mit Adultismus.
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Text: Sookee — Foto: Benjamin Jenak

Adultismus! Na, schonmal gehört? Nein? Doch!? Also von Anfang: Adultismus beschreibt das gesellschaftliche Machtverhältnis von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen. Erstmalig begegnet ist mir der Begriff vor ungefähr acht Jahren, als ich auf eine adultistische Aussage hingewiesen wurde: Ich hatte die Redaktion der BILD als „Rasselbande“ bezeichnet, um sie als inkompetent zu kritisieren. Wo soll denn der Fehler liegen?

Ich war zu dem Zeitpunkt nicht in der Lage, die Rückmeldung wertzuschätzen und deshalb brauchte es eine Weile, bis ich diese Auseinandersetzung einordnen und mich auf das Thema einlassen konnte. Ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, ich hätte Kindern schaden wollen. Aber wie das vielfach mit Diskriminierungsmechanismen ist, braucht es notwendigerweise gar keine böse Absicht oder einen unmittelbaren Angriff auf tatsächliche Menschen.

Stereotypisierende, machtvolle Annahmen über die entsprechende Gruppe reichen schon, um eine bestimmte Abwertung zu manifestieren. In meinem Fall war es die Zuschreibung einer erwachsenen Person, die als solche Kindern gegenüber gesellschaftlich in vielerlei Hinsicht privilegiert ist, und sie aus dieser Position heraus – wenn auch indirekt – als unfähig, unreif, impulsiv und naiv herabsetzte.

Ich wollte mir nicht vorwerfen lassen, ich hätte Kindern schaden wollen. Aber wie das vielfach mit Diskriminierungsmechanismen ist, braucht es notwendigerweise gar keine böse Absicht.

Solche und ähnliche Zuschreibungen erfahren beispielsweise – und hier handelt es um eine direkte Herabwürdigung im realen Beispiel – junge Klimaktivist*innen durch etablierte und machtvolle Politiker*innen. Statt zu unterstützen, dass Kinder und Jugendliche sich um die Zukunft der Lebensgrundlagen aller Gedanken machen, bei Prozessen, die globale und langfristige Folgen für den Planeten haben, intervenieren und bereit sind Verantwortung zu übernehmen, wird ihr Engagement diskreditiert oder zumindest nur innerhalb eines durch Erwachsene kontrollierten Rahmens für legitim erklärt. 

Nicht zuletzt rührt dieses reglementierende Verhalten daher, dass mit der Kritik an den Zuständen auch immer eine Kritik an den Zuständigen formuliert wird. Und das sind in einer Welt, die von Erwachsenen für Erwachsene gemacht wird und in der Kinder und Jugendlichen nur eine untergeordnete Rolle spielen, nunmal Erwachsene. Insofern ist junger Aktivismus letztlich auch Systemkritik. Natürlich sind gerade junge Kinder aufgrund ihrer physischen, kognitiven und sozialen Entwicklung lange Zeit tatsächlich auf Erwachsene angewiesen. Ein kleines Kind kann nicht ohne die Unterstützung von Älteren überleben. Das ist Fakt und verleiht Erwachsenen tatsächlich eine signifikante Macht.

Aber diese Macht muss, wenn sie nicht in Gewalt umschlagen soll, immer im Sinne und zum Schutz des Kindes eingesetzt werden. Gleichzeitig darf das Kind für die ihm vorgeworfene Inkompetenz und Selbstbezogenheit nicht für schuldig erklärt und bestraft werden. Das Kind lernt die sozialen Codes und das kanonisierte Wissen erst noch – und es lernt schneller und intensiver als Erwachsene. Aber es lernt eben auch vorrangig die Dinge, die es in seiner Umwelt erlebt und die ihm zu Nachahmung zur Verfügung stehen. 

Ein kleines Kind kann nicht ohne Unterstützung von Älteren überleben. Aber diese Macht muss, wenn sie nicht in Gewalt umschlagen soll, immer zum Schutz des Kindes eingesetzt werden.

Aber wenn Erwachsene Kinder auf diesen Lernwegen nur dann unterstützen, um deren Sozialverträglichkeit und Leistungsfähigkeit zu pushen, dann unterdrücken sie damit nicht nur das Kind als Menschen, sondern genauso gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Im Kapitalismus bedeutet der Satz „Kinder sind unsere Zukunft“ eben auch „Kinder sollen zu Steuerzahler*innen gemacht werden“. Stattdessen sollte aus einer emanzipatorischen Notwendigkeit heraus eher anerkannt werden: Kinder sind ihre eigene Gegenwart. Und das bedeutet auch, dass Kinder in einer Gesellschaft, die von Machtachsen durchzogen ist, Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind.

So greifen Erwachsene wie selbstverständlich in Kinderwagen, um süße Babygesichter zu tätscheln. Wenn Kinder zudem beispielsweise noch von Rassismus betroffen sind, dann ist der ungefragte Griff in die Haare gleich in zweierlei Hinsicht übergriffig. Während Kinder und Jugendliche der cis-heteronormativen Propaganda einer Erwachsenenwelt ausgesetzt sind, wird ihnen untersagt, sich selbstbestimmt ihrer geschlechtlichen und sexuellen Entwicklung zu widmen. Der Tabus gibt es viele.

Der Tag, an dem ein junger Mensch ganz offiziell einen Porno anschauen darf, ist mit dem 18. Geburtstag auch der Tag, an dem er selbst mitwirken dürfte. Ist das nicht ziemlich paradox!? Mir offenbart es wieder sehr deutlich, wie wenig Raum wir Kindern und Jugendlichen für ihre Entfaltung in dieser Gesellschaft zugestehen und wie massiv wir an unserer Macht über sie zu verfügen festhalten, statt ihnen auch außerhalb unserer Komfortzone beizustehen und sie zu unterstützen. Sollten wir mal gründlich überdenken!

Sookee ist queerfeministische Antifaschistin, Musikerin und Mutter. Und sie ist Fan von gegenseitiger Sichtbarmachung, Rotationsprinzipien und Aufrichtigkeit.

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