Text: Tom Waurig — Fotos: Peter van Heesen
Peter Eckert war getrieben von einem Gedanken: mit einem vollkommen unbekannten Konzept wollte er am deutschen Biermarkt bestehen – damals noch im Ehrenamt. Es ging allerdings nicht um einen extravaganten Geschmack, ein hippes Etikett oder einen ausgeklügelten Verschluss. Eckert wollte sich selbst beweisen, dass es möglich ist, mit einem sozialen Geschäftsmodell Erfolg zu haben. „Fast alle haben mir damals davon abgeraten, weil die großen Konzerne uns platt machen würden“, erzählt der Gründer.
Mit seinem Bier Quartiermeister will er nicht nur Kasse machen, sondern anderen etwas davon abgeben. Trinken für die gute Sache, könnte es plakativ heißen – doch hinter dem sozialen Unternehmen stecken ernst gemeinte Ideale. In Berlin fing alles an. Vor neun Jahren wanderte dort das erste Bier in die Regale. Limonaden mit sozialer Botschaft gab es schon. Was jedoch fehlte, war ein Wasser-Malz-Hopfen-Gemisch, das ganz unabhängig vom steigenden Alkoholpegel bewusstseinsweitend wirkt. Die Idee ist eigentlich naheliegend in einem Land, das seine Bierkultur gebührend huldigt.
Schätzungen gehen von 6000 verschiedenen Biermarken aus, die es hierzulande geben soll. Und obwohl der Bier-Pro-Kopf-Verbrauch zuletzt zurück ging, liegt er immer noch bei stolzen 106 Litern im Jahr. Bier ist aber nicht nur flüssiges Vergnügen, sondern vor allem knallhartes Geschäft. Was den meisten Brauereien zu schaffen macht, ist der starke Wettbewerb. Gibt es in anderen Ländern zwei oder drei Unternehmen, sind es hier etliche, die sich den Markt teilen. Die Folge ist ein erbitterter Preiskampf. Eine Biersorte gibt es eigentlich immer zum Aktionspreis.
Mit diesen Herausforderungen sah sich auch Peter Eckert schnell konfrontiert. Und der Verkauf lief auch nicht von alleine. Nachdem Eckerts Kompagnon Sebastian Jacob des Jobs wegen wegzog, stand Quartiermeister schließlich am Scheideweg. Doch der Gründer ließ sich nicht entmutigen. Er sah eine Chance: Bier lässt sich auch regional herstellen. Eckert setzte also auf kleinere Brauereien, die zwar eine jahrhundertlange Tradition haben, aber mehr und mehr verdrängt werden.
Keine Angst vor der Konkurrenz
Produziert wird das Bier im sächsischen Wittichenau, einer 6000-Seelen-Gemeinde, gelegen zwischen Bautzen und Hoyerswerda. In der privaten Brauerei lassen sie den Gerstensaft in 0,3-Liter-Flaschen, als Halbliterversion und auch im Fass abfüllen. Die Rezeptur allerdings ist eine eigene. Anfangs noch wurde das Bier vor allem in kleineren Getränkemärkten, in Spätshops und Kneipen verkauft.
„Wir sind damals bewusst in die größeren Städte wie Berlin, Dresden oder Leipzig gegangen, weil es dort viel Gastronomie gibt und dort auch viele Studierende leben. Das war für uns einfacher. Heute kaufen, trinken und kennen aber auch Menschen in kleineren Städten unser Bier“, freut sich Eckert. Und nicht nur das: Inzwischen führen neben Bio-Läden sogar große Supermarktketten Quartiermeister im Regal.
440 000 Liter wurden so im letzten Jahr verkauft. Die Rechnung des Unternehmens klingt simpel, sie geht aber auf: „Wir müssen dafür sorgen, dass es genug Menschen gibt, die unser Bier kaufen.“ Durch den Zuspruch aus der Gastronomie gelang schließlich der Sprung in den Handel.
Doch entlohnte Arbeit gibt es im Unternehmen erst seit 2014 – 800 Euro zahlte sich Eckert damals aus. Zuletzt aber ist das Unternehmen kräftig gewachsen, beschäftigt heute zwölf Mitarbeitende, die sich um Marketing, Vertrieb, Logistik oder die Buchhaltung kümmern. Eckert und sein Team arbeiten in einem Großraumbüro im Berliner Szenekiez Kreuzberg. Und auch die Produktpalette ist heute ein andere.
Im Sortiment haben sie nicht mehr nur ein Pils, sondern auch ein Radler, ein Rotbier und ein Pale Ale. In der letzten Woche kam noch ein alkoholfreies Bier dazu. Für Eckert ein „Herzensanliegen“, wie er sagt. Die Produktion sei deutlich aufwändiger als bei einem alkoholhaltigen Getränk. Die Brauerei in der Oberlausitz habe dafür erst einmal technologisch aufrüsten müssen.
„Wir sprechen zwar immer davon, dass wir alle Menschen erreichen wollen, bisher waren das aber nur jene, die auch Alkohol trinken.“ An dieser Entwicklung will Eckert auch in Zukunft festhalten. „Nicht mehr nur Bier“, sagt er. Ideen hat er offensichtlich viele, verraten will er sie aber noch nicht.
Gegen die traditionellen Bilder
Was Eckert aber sagen kann ist, dass sein Bier seit Kurzem auch in und rund um München und Stuttgart vertrieben wird. Der 33-Jährige hofft, dass es Quartiermeister bald im ganzen Land zu kaufen gibt und nicht mehr nur in Berlin oder im Osten, denn das haben kritische Stimmen bemängelt. Die Expansion in den Süden der Republik scheiterte lange an der Suche nach einer passenden Brauerei. Fündig wurde er schließlich in Forsting, östlich von München. Ob und wann ein dritter Betrieb dazukommt, um auch noch den Nordwesten beliefern zu können, weiß Eckert nicht. Aber auch damit lässt er sich Zeit.
Der Gründer knüpft klare Ideen an eine Zusammenarbeit. „Wachsen mit Werten“, lautet das Motto. Das ist kein billiger Marketingspruch, sondern ernstgemeinter Idealismus: „Ohne uns würde es diese Brauereien wohl nicht mehr geben. Wir schaffen also nicht nur Arbeitsplätze in Berlin, sondern erhalten Jobs auf dem Land. Und die Brauereien entwickeln sich weiter, steigen auf Ökostrom um oder lassen sich bio-zertifizieren.“ Das Konzept steht über allem.
Doch eines hat sich im letzten Jahr heftig verändert – der Name und das Etikett. Wo früher groß die Marke „Quartiermeister“ stand, heißt es heute „Quartiermeister*in“. Sie wollten ein Zeichen gegen Sexismus in der Bierwerbung setzen. Auf jeder zweiten Bierflasche ist nun ein weibliches Konterfei zu sehen.
Denn die traditionelle Szene setzt immer noch gerne auf freizügige Models und Stereotypen: Die Frau serviert, der Mann trinkt und genießt. Auch Studien belegen, dass Geschlechterdiskriminierung in der Werbung negative Folgen für die Betroffenen haben. Dies wollen Eckert und sein Team zum Thema machen. Auch eine Extra-Förderung gab es für feministische, queere oder antisexistische Projekte.
Verändert wurde außerdem der Slogan auf den Flaschenvorderseiten: „Bier für den Kiez“ ging, „Zum Wohle aller“ kam. Obwohl viel in Bewegung ist, bleibt die Motivation dieselbe. Quartiermeister will soziales Unternehmertum im Land bekannter machen und der Kundschaft zeigen, „dass ihr Konsum Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft ausübt“, stellt Peter Eckert heraus.
Was ist ein Sozialunternehmen?
Konkret geht es um Firmen, die zwar nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten arbeiten, aber keine monetären Ziele verfolgen, sondern ökologische oder soziale Probleme lösen wollen. So wirklich bekannt ist die Idee von Sozialunternehmen hierzulande noch nicht. Auch die Politik fremdelt noch mit dem Modell – und längst nicht alle verstehen, wie diese andere Art des Wirtschaftens eigentlich funktioniert. Die Voraussetzungen seien in Deutschland deshalb mindestens ausbaufähig, erklärt Eckert.
Vor allem bei der Startfinanzierung haben es soziale Unternehmen schwer. „Für Start-ups in der IT-Branche ist es wesentlich leichter, an Geld zu kommen.“ Denn die zielen nicht auf langfristiges Engagement für das Gemeinwohl, sondern auf kurzfristige Rendite. Auch gebe es in Deutschland weder eine passende Rechtsform für soziale Unternehmen, noch sei das deutsche Steuerrecht dafür ausgelegt, dass ein Großteil der Einnahmen gespendet werde. Quartiermeister ist deshalb eine GmbH und zahlt die selben Steuern wie jedes andere Unternehmen auch – Vergünstigungen gibt es keine.
2016 untersuchte eine von der Deutschen Bank mitfinanzierte Studie der Thomson Reuters Foundation die Rahmenbedingungen für soziale Unternehmen. Deutschland landete nur auf Platz zwölf – hinter Ländern wie Chile, Kanada oder Israel.
Und sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages befasste sich schon im selben Jahr mit der Frage nach geeigneten „Rechtsformen für Sozialunternehmen“ in Deutschland. Festgestellt wurde dabei auch, dass eine verbindliche Definition des Begriffs nicht vorhanden sei, weder in Deutschland noch auf europäischer Ebene.
„Heute sind Sozialunternehmen zumindest mal ein Thema“, so Eckert. Immerhin hielt die aktuelle Bundesregierung den Begriff zum ersten Mal im Koalitionsvertrag fest. Union und SPD erklären darin kurz: „Soziale Innovationen von Sozialunternehmen sind unterstützungswert.“ Was das aber genau bedeutet, bleibt weiter unklar. Dies bemängelt auch die Opposition im Deutschen Bundestag. „Statt einer umfassenden Strategie hat die Bundesregierung aber nur ein Klein-Klein aus Einzelmaßnahmen umgesetzt“, kritisiert die Grünen-Fraktion.
Branche ohne politische Lobby
Was den sozialen Unternehmen aber auch fehlt, ist eine politische Lobby, die ihre Interessen kennt und sich für deren Anliegen einsetzt. Während klassische Konzerne wie Vattenfall, VW und Shell im Bundestag ein- und ausgehen, fehlt es den Sozialunternehmen meistens an Zeit und Kontakten.
Damit sich das aber tatsächlich irgendwann ändert, riefen Peter Eckert und andere Gleichgesinnte im Sommer 2017 das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland ins Leben – einen Verband, dem mittlerweile mehr als 300 soziale Unternehmen angehören. „Mir ist schon bewusst, dass wir von vielen Menschen wahrgenommen werden und dass wir eine starke Stimme sind, aber ich weiß eben auch, dass wir die deutsche Wirtschaft nicht im Alleingang umkrempeln werden.“
Die Situation der Sozialunternehmen fasste der Verband in einem ersten Monitorbericht zusammen, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde. Dort heißt es: „Die Politik erhält lediglich Note 4,6 für die Unterstützung von Social Entrepreneurship.“ Der Verband fordert vor allem eine bessere Infrastruktur und Finanzierungsprogramme.
Sozialunternehmen sind zwar kein neues Phänomen in Deutschland, sie erleben aber in den letzten Jahren einen neuen Boom. 80 000 soll es davon in Deutschland geben, doch genaue Zahlen existieren nicht. Sie bringen Langzeitarbeitslose oder Menschen mit Behinderungen in Arbeit, sie helfen bei der Resozialisierung Strafgefangener und machen Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt.
Im letzten Jahr trat mit Share ein neues Social Start-up am Markt an, das der ganzen Branche viel Aufmerksamkeit bescherte. Die Idee dahinter: Kaufen Menschen in Supermärkten und Drogerien Nussriegel, Wasser oder Seife, finanziert das Unternehmen im Gegenzug anderswo Bedürftigen eine Mahlzeit, Trinkwasser oder ein Stück Seife. Damit das eingenommene Geld auch sinnvoll ausgegeben wird, arbeitet Share mit Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Berliner Tafel und der Aktion gegen den Hunger zusammen. Sie erhalten für jedes verkaufte Produkt einen bestimmten Centbetrag, der einer Mahlzeit, einer Tagesration Wasser oder einem Stück Seife entsprechen soll, so erklärt es das FAQ.
Entscheidung der Netzcommunity
Die Quartiermeister verfolgen eine andere Logik. „Pro verkauftem Liter fließen zehn Cent in einen Fördertopf, dessen Inhalt an soziale Projekte ausgeschüttet wird. Das macht es transparent“, so Peter Eckert. 45 000 Euro haben sie allein im letzten Jahr an Initiativen in Leipzig, Berlin, Dresden und München ausschütten können, erzählt der Gründer. Das Quartiermeister-Bier kostet nicht mehr als die Konkurrenzprodukte der großen Konzerne. Einen Zusatz-Euro, der gespendet wird, gibt es nicht. Gespart wird an anderer Stelle, beim Marketing zum Beispiel. Mit steigendem Bierabsatz wächst demzufolge auch die Förderung.
Zwei Dutzend Anträge erreichen das Team im Quartal. Der gleichnamige Verein trifft unabhängig vom Unternehmen eine Vorauswahl und entscheidet, welche Projektideen online zur Abstimmung stehen. Die Palette ist riesig und reicht von der Eröffnung eines Jugendclubs über die Organisation von Festivals bis hin zu Spritgeld für den Kältebus oder einer Fahrradselbsthilfewerkstatt. Auch Nachbarschaftshilfen durften sich schon über eine Ausschüttung von bis zu 2000 Euro freuen.
„Wir haben nicht das Ziel, staatliche Programme zu ersetzen. Denn all das, was wir fördern, unterstützt sonst nur wenige. Und dank unserer Unabhängigkeit haben wir auch die Freiheit, Projekten zu helfen, die noch in den Kinderschuhen stecken“, stellt Eckert klar. So habe sich ein „Fördertopf für die Kleinen“ etabliert.
Gerade einmal drei A4-Seiten müssen die Projekte ausfüllen, ein Nachweis über die Verwendung der Mittel wird nicht gefordert. In diesem Jahr vergibt das Unternehmen auch erstmals ein Stipendium in Höhe vom 9000 Euro, „das (fast) bedingungslose Grundeinkommen für Projekte“. Eckert ist allerdings Realist genug, um zu wissen, dass nicht alle auch das Etikett auf der Flaschenrückseite lesen, auf der die Motive des Unternehmens umrissen sind. „Viele nehmen das gar nicht wahr“, das ist ihm bewusst, „und trotzdem tragen sie dazu bei, dass wir soziale Initiativen unterstützen können.“
Peter Eckert glaubt, dass Quartiermeister trotz des rasanten Wachstums authentisch geblieben ist. Das sei ein Schlüssel zum Erfolg. „Die Menschen glauben uns, was wir ihnen erzählen.“
Die Hoheit über das Unternehmen
Damit das auch in Zukunft so bleibt, will Eckert Quartiermeister zu einem sogenannten Purpose-Unternehmen machen. Durch diesen Schritt würde er sich rechtlich bindend dazu verpflichten, „das Unternehmen nicht als Spekulationsgut für privaten Gewinn zu benutzen“, so beschreibt es die Hamburger Stiftung, mit der Eckert kooperieren möchte. Das Verfahren läuft wie folgt: Die Purpose-Stiftung übernimmt ein Prozent der Stimm- und Vetorechte des Unternehmens. Diese befähigen jedoch nur dazu, einer Änderung der Purpose-Grundsätze zu widersprechen. Die Stiftung ist per eigener Satzung dazu verpflichtet, einer Änderung der Grundsätze nicht zuzustimmen.
Sollten Eckert und sein Co-Gesellschafter aus dem sozialen Unternehmen aussteigen, sei so ausgeschlossen, dass Quartiermeister etwa höchstbietend verkauft oder die Projektförderung eingestellt werde. Das Unternehmen würde somit sich selbst gehören, „treuhänderisch jenen, die Verantwortung für die Mission übernehmen“. Es ist aber mehr eine Absicherung, denn ans Aufhören denkt Eckert momentan nicht.
Doch mindestens zwei Mal im Jahr stellt sich der Quartiermeister-Gründer immer ein und dieselbe die Frage – ist es noch das Richtige, was er hier tut und spürt er Freude dabei? Bislang jedenfalls falle das Ergebnis immer positiv aus – und das trotz oder gerade wegen der vielen Jahre, die er mittlerweile schon dabei ist.
„Ich habe das Gefühl, dass ich hier am richtigen Platz bin und noch viel Gutes tun kann. Die Geschichte, die wir zu erzählen haben, ist wichtig und es sollten noch mehr Menschen davon erfahren. Für mich persönlich sind die Ideale, die unser Unternehmen verkörpert, viel entscheidender als der eigentliche Gewinn.“ Es soll ein Beispiel dafür sein, wie Wirtschaft im 21. Jahrhundert aussehen könne und dass sein Modell doch funktioniere.
Noch ein Unternehmen wolle er aber nicht gründen: „Lieber einmal richtig.“ Vorstellen könne er sich aber, andere soziale Unternehmen zu beraten. Und Politik? „Schwierig”, wiegelt er ab. Politisches Engagement ja, ergänzt Eckert, aber ohne Parteipolitik. Vielleicht will es sich Eckert also doch noch einmal beweisen.
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