Text: Philine Schlick — Fotos: Benjamin Jenak
Eben noch huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, eine Spur Nervosität. Doch als die Kamera auf sie gerichtet ist, werden ihre Züge abrupt zu Eis: klar, kühl, unantastbar. Menschen, die vorbeilaufen, nehmen sie im Hinterhof einer Berliner Wohnsiedlung ins Visier – sie schmettert das mit einem Augenaufschlag ab, in den Pupillen blitzt stecknadelkopfgroß eine Drohung. Nashi44 ist die aufstrebende vietdeutsche Rapperin aus Berlin-Neukölln – Betonung auf die. Auf die Frage „Wo kommst du eigentlich her?“, lieferte sie mit ihrem Debüt „Aus der Pussy“ eine universelle Antwort, die sich als Ohrwurm gnadenlos festhakt.
In den Musikvideos zu ihrer ersten EP „Asia Box“ führt sie ihre Interpretation von Asian Fusion Kitchen vor: Küchenbeile zerteilen Filetstücke, Herdflammen lodern, Essstäbchen bohren sich in weiße Haut. Wenn Nashi von einem Schmetterling rappt, meint sie ein Klappmesser. Scharf auch die Rhetorik, mit der sie gegen den Stempel der „dienstbaren Exotin“ rebelliert: „Du stehst auf gelbe Schlitze? Dann geh doch zur Post!“ In ihren Tracks legt sie passagenweise ein Tempo vor, das den Untertiteln über die Mehrsprachigkeit hinaus Sinn gibt.
„Da ist so viel Wut in dir“, habe ihre Gesangslehrerin gesagt, erinnert sich Nashi – und stößt einen Strohhalm durch die Abdeckung ihres Bubbleteas in ihrem Lieblingsladen in Berlin-Mitte. „Heute brauche ich die volle Dröhnung Matcha”, erläutert sie und nimmt einen Schluck. Vor zwei Jahren, während des Musikstudiums in Leipzig, habe der zornige Teil der Musikerin als „Nashi44“ an Kontur gewonnen. Bei einer Gesangsprüfung entschieden sich alle anderen für Jazz oder Pop, sie für Rap. Diese erste Performance von „Aus der Pussy“ war für sie ein Blitzableiter, für andere der Einschlag: „Das liebe ich an Musik. Du kannst die Gefühle, die sonst überhand nehmen, rauslassen.“ Tatsächlich sei Wut eine entscheidende Geburtshelferin für ihr Alter Ego gewesen, das sich durch verletzende Erfahrungen mehr und mehr regte. Irgendwann brach sich „Nashi44“ Bahn: „Sie ist keine Kunstfigur, sondern ein Teil von mir.“
Auf das Studium hatte die bereits erprobte Musikerin hart hingearbeitet: Zwei Jahre lang der Besuch einer studienvorbereitenden Schule, Vorsingen an deutschen Musikhochschulen, Aufnahmeprüfungen. Schließlich die Zusage für Jazz- und Popgesang in Leipzig. Schon mit zehn Jahren schrieb Nashi Liedtexte und Gedichte, trat als Jugendliche mit Gitarre auf Festen auf, sang in Rock- und Blues-Bands, besuchte einen Bühnenkunstschule. In ihrer Schulband trug sie Pop-Coversongs vor. Als es um das Adaptieren von Hip-Hop-Tracks ging, trauten sich das die anderen Bandmitglieder nicht zu. Nashi schon: „Ich rappe. Kein Ding.“ Mit dem Studium professionalisierte sie sich weiter – und nutzte ihr Talent für einen Neustart.
Umbruch in der Pandemie
Nashi44 ist für sie eine Metamorphose und neue Gestalt zugleich: Angriffslustig und voll aufrichtiger Empörung findet sie im Hip-Hop die Energie zur Auflehnung und nutzt dafür außerdem ihre Fachkenntnis. „Jazz ist die Mutter der Popmusik“, erklärt Nashi. Immer wieder habe sie eigene Lyrics auf Rhythmen gesprochen und so ihren Stil gefunden. Ein Kompass sei die Begegnung mit der Rapperin Ebow gewesen: „Ich kannte bis dahin nur Gansterrap und linken Rap. Dazwischen hatte ich nichts gefunden. Ich mag es gerne deep – und melodisch.“
Nashi beendete ihr Studium, kehrte Leipzig den Rücken und ging zurück in ihre Heimatstadt Berlin. „Ich wollte mich auf das konzentrieren, was ich immer machen wollte: Meine eigene Geschichte erzählen. Hinter dem Traum vom Studium stand nämlich ein größerer. Ich habe meinen Weg zu seinen Gunsten korrigiert.“ Und auch die Corona-Pandemie hatte Einfluss auf diesen Umbruch. Den weiter schwelenden anti-asiatischen Rassismus verarbeitet Nashi in ihrem Track „Virus in der DNA“: „Erst Model-Minority, dann gelbe Gefahr / Erst unsichtbar, auf einmal Virusschleuder / In der Bahn meide ich Blicke seit Corona / Alle haben plötzlich Angst vor mir und meiner Mama … Depression im ersten Lockdown / Mein Leben in Leipzig ist wie ein Albtraum / Racist Faces – muss hier abhaun / Weg vom braunen Abschaum.“
In Berlin wartete 2020 der Herbst – und ein kleines Zimmer ohne Internet im Lockdown. Die Abgeschiedenheit nutzte die Künstlerin als Schaffensphase: „Ich habe mich mit mir selbst beschäftigt und Texte geschrieben.“ Inspiration finde sie in ihrem eigenen Leben: „Ich denke viel nach. Das ist anstrengend“, sagt sie matt lächelnd. Ihre ersten Songs veröffentlichte sie auf Instagram. Was die Community besonders feierte, wurde schließlich produziert.
Ein Thema kehrt immer wieder: „Essen ist in meiner Familie der Mittelpunkt, um den sich alle treffen. Die süd-ostasiatische Diaspora in Deutschland ist mit Stereotypen verbunden, häufig über die Essenskultur. Seien es die Asia-Boxen in Bistros, chinesische oder vietnamesische Restaurants. Da wird behauptet, das Essen sei billig und voller Glutamat. Und dann gibt es Menschen, die sich die Küche aneignen und sagen: ‚Wir kochen das nach, aber in gesund!‘“
Nervöse Bühnenpremiere
Ähnlich schizophren werde Nashi selbst als süd-ostasiatisch gelesene Frau wahrgenommen: Eine Position zwischen Fetisch und Herabwürdigung. An dieser Stelle setzt sie musikalisch an, um zu dekonstruieren – und das geht durch den Magen: „Suck on my spring roll / drown in my fish sauce / küss meine dragon balls / lick this peach hole.“ Dem begehrlichen Blick des weißen Mannes stellt sie ein Arsenal asiatischen Kulturguts von der Thai-Massage bis zum Hot Wok entgegen und inszeniert sie als Instrumente der Selbstbehauptung.
Doch wie gelingt das, ohne Klischees zu reproduzieren? „Es ist eine Gratwanderung, aber ich versuche es. Ich will ja niemanden retraumatisieren – inklusive mir selbst. Manchmal muss ich aber Dinge erstmal benennen und in die Wunde fühlen, um sie dann ändern zu können.“ Eine Haltung, die Nashi auch hinter den Kulissen vertritt: „Es ist eine Entscheidung, ob ich meine Beats von einem weißen cis Mann machen lasse oder ob ich BiPoC für eine Zusammenarbeit wähle.“ Das Musikvideo zu „Suck on my spring roll“ entstand deshalb auch komplett in einem FLINTA*-Team: „Unter Gleichgesinnten sein, das gibt Sicherheit und Stärke. Das strahlt die Musik auch aus“, verdeutlicht Nashi. „Es gab keine toxische Männlichkeit, die die Stimmung drückt. Das ist eine Ebene, die mitschwingt und Atmosphäre auch ausmacht.“
Und nach Ende des ersten Corona-Lockdowns kann Nashi dann endlich auf die Bühne – an den Ort, an dem sie als Musikerin maßgeblich ihr Geld verdient. Nervös sei sie vor der ersten Performance vor allem wegen ihres Freundeskreises und der Familie gewesen: „Das war eine ganz neue Seite von mir. Die meisten kannten mich als verträumte Singer-Songwriterin an der Gitarre.“ Die Ängste erweisen sich als unbegründet, auch vor dem Publikum in den Sälen: „Ich habe mit allem gerechnet, auch damit, dass die Leute aufstehen und gehen.“ Tatsächlich aber schlägt ihr Begeisterung entgegen, Zustimmung.
Auch mit der queerfeministischen Rap-Szene stehe sie in regem Austausch. „Die Allianzen sind sehr stark. Wir beraten und helfen uns gegenseitig.“ Den zweiten Lockdown nutzte sie, um Pläne zu schmieden und Promotion zu betreiben. Im Sommer 2022 recken ihr auf dem Fusion-Festival Hunderte ihre Arme entgegen, als sie in die Menge ruft: „Ey, Leute! Hier ist Nashi! Wer von euch hat schon von mir gehört?“ Nur wenige Wochen später wird sie als beste Newcomerin für den Musik-Award VIA nominiert. „Mein Ziel war immer, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Meine Message geht alle was an. Sie kommt aus meiner Seele.“
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