Ziemlich drüber — Mariybu

Hyper, hyper! Rapperin Mariybu hat sich in unbekannte Sphären begeben und in der queeren, jungen Hyperpop-Szene ein neues, wohliges Zuhause gefunden. Ein Gespräch über Extreme und Selbstbestimmung.
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Text: Philine Schlick — Fotos: Benjamin Jenak

Mariybu lässt sich auf einen blinkenden Spieltisch gleiten, lüpft die Sonnenbrille und zeigt ein Lächeln, das einem Raubtier gut stehen würde. Die wollenen Fransen ihrer Jacke umzüngeln sie in Alarmrot. Das gleichfarbige Haar hat sie zu Schnecken eingedreht, trägt dazu schwarze Overkneestiefel mit Plateau. Die Künstlerin aalt sich im Flimmern neonfarbener Lichter wie auf einer Sonnenbank. Der Rausch aus Flackern und Piepsen mag für andere überfordernd sein, Mariybu dagegen ist voll und ganz in ihrem Element: „Mein ganzer Alltag ist übertrieben. Ich fühle einfach so und drücke mich auch so aus.“

Drüber sein, eine Eigenschaft, die Mariybu zu ihrem Metier gemacht hat. Gestartet als „Pöbel-Rapperin“ in Hamburg, hat die Künstlerin ihre kreative Heimat im Hyperpop gefunden, einem Mikrogenre, das so wirkt, als wäre Pop-Sternchen Blümchen als Polly-Pocket-Figur auf LSD in einem Kaugummiautomaten wiedergeboren worden. „Es ist einfach in jede Richtung komplett überzogen“, beschreibt Mariybu. Bis zum knisternden Sirren verzerrte Stimmen, metallene Bässe, Sounds wie aus dem Game Boy: „Ich war schon immer Fan von distorted sounds.“

Hyperpop ist das überdrehte Geschwisterchen des Mainstream-Pop: grell und künstlich. Ihre Wurzeln hat die Strömung in den 2010er-Jahren in Großbritannien. Das Publikum ist jung, die Szene queer. „Ich habe mich am Anfang gefragt: Kann ich so extrem sein?“, erzählt Mariybu. „Ja, klar! Fuck it. Ist doch scheiße, das zu verstecken.“ Sie schwelgt in dieser bonbonfarbenen Welt, die dem Pop die Zähne zeigt, indem sie seine Attribute überdosiert. „Wenn Leute mich anmachen, meine Musik klinge komplett unnatürlich, dann freue ich mich. Soll sie ja auch!“ 

Für Mariybu ist der Schritt in diese verspielte Sphäre ein neues Reifestadium. Im Deutschrap habe sie all ihre unterdrückte Wut herausgeschleudert. Ein Schlüsselerlebnis sei ein Konzert von Finna, Haszcara und Sir Mantis im Jahr 2018 gewesen, das sie zu einem eigenen Song inspirierte. Vorher sang sie im Schulchor. Eine Probe bei einer Punkband blieb die einzige, weil sie sich für die Bühne zu schüchtern fühlte, erzählt Mariybu. „Dann habe ich eigentlich nur noch gemalt.“ Nach dem besagten Konzert aber schrieb sie Finna an: „Hey, ich schreib auch Musik. Wollen wir mal was zusammen machen?“ Ein Treffen später war klar: Mariybu würde einen Song bei Finnas Konzert im Yoko Club in Hamburg performen: „Okay, let’s go.“ 

Mariybus Debüt-Album ist ein Befreiungsschlag – der Titel: „Depression“. Sie rappt über PMS, Ausbeutung in der Musikszene, im Zwischenmenschlichen. Auch wenn sich ihr Stil gewandelt hat, eine grundlegende Erkenntnis ist geblieben: „Ich muss alle meine Seiten zeigen, um mich wohlzufühlen.“ Facetten zu unterschlagen, koste sie schlicht zu viel Kraft. Auch in ihren Texten benenne sie Dinge lieber direkt, als sie zu umschreiben. „Metaphern sind nicht so meins.“

Völliges Rauschen

Beim Schreiben komme sie sich selbst auf die Schliche, erklärt sie. Als würden Bewusstsein und Unterbewusstsein heimlich miteinander tuscheln: „Ich merke manchmal erst bei der Hälfte, was ein Song wirklich bedeutet.“ Natürlich mache sie sich durch diese Entblößung auch verletzlich. Eine Gratwanderung, die auch die steigende Berühmtheit ihr abfordert.

„Seit ich Musik über Sex mache, bekomme ich echt eklige Nachrichten.“ Mariybu thematisiert Lust, Sex während der Menstruation, Freizügigkeit und Selbstbestimmung. Das würden viele als Aufforderung begreifen: „Die Typen checken einfach nicht, dass es nicht um sie geht.“ Die meisten, vermutet sie, hätten wahrscheinlich keine Vorstellung, was übergriffige Nachrichten an Angst und Unsicherheit anrichten können. Ihre Musik triggert, so behauptet es zumindest der Angreifer, der bei einem Konzert im Sommer 2022 in Leipzig auf die Bühne stürmte und sie schlug. Ein Erlebnis aggressiver Intimität, das ihr heute noch das Schlucken erschwert, wenn sie darüber spricht. „Danach habe ich mir gesagt: Entweder du gehst morgen direkt wieder auf die Bühne oder du schaffst es nie mehr.“ Und sie ging. „Die Musik ist es mir wert.“

Gegenwind sei ihr ständiger Begleiter – auch in der eigenen Bubble. Etwas, das sie durchaus beunruhige. „Der Gedanke, dass ich mal irgendwas sage oder mache, was ich in drei Jahren bereue und darüber dann nicht mehr die Kontrolle habe, beschäftigt mich sehr“, so Mariybu. Die Fehlerkultur in Deutschland sei nicht die gnädigste. Als Künstlerin stehe sie häufig vor der Wahl: Wo trete ich auf, wo nicht? Entscheidungen dieser Art sorgen immer mal wieder für Kritik. Mariybu stellt die Frage anders: „Nehme ich mir die Bühne – oder überlasse ich sie anderen? Wenn du was verändern willst, kannst du das nicht nur von außen tun.“

Wandel prägt derzeit Mariybus Leben: Von Hamburg ist sie nach Berlin gezogen. Durch ihren Eintritt in das Genre Hyperpop hätten sich ihre Fans verändert und auch die Art der Auftritte. Wenn sie auf ihre Diskografie schaut, würde sie schon jetzt manche Songs so nicht mehr veröffentlichen, aber ihre Berechtigung hätten sie trotzdem: „Alles hat seine Zeit“. Wovon die Künstlerin vor zwei Jahren noch träumte, sei eingetreten: mehr Geld, mehr Bühnen, mehr Zeit. Job und Studium hat sie fallen lassen, um sich ganz auf die Musik zu konzentrieren.

Als Producerin lässt sie sich von niemandem in ihre Songs reinreden. „Als ich das noch nicht selber gemacht habe, hieß es: ‚Nee, so hoch kannst du das nicht pitchen.‘ Wollte ich aber, weil ich es geiler fand.’“ Die Grenzen nach oben teste sie ständig aus: „Wer weiß, vielleicht ist dann irgendwann nur noch Rauschen zu hören.“ Investiert hat sie in ein Interface, das ihre Stimme auf der Bühne in Echtzeit verzerrt. „Mein Anspruch ist, so viel wie möglich live zu machen.“ Was aber trotz aller Verortung wohl bleiben werde, sei dieses unbestimmbare Alien-Gefühl.

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