Nein und Amen — Kolumne Maike Schöfer

Oh wie schön, endlich Weihnachten! Dicht gedrängt an der Glühweinbude und mittendrin im Lametta behangenen Shoppingtempel. Ist das alles oder kann Weihnachten noch mehr sein als Kitsch und Kapitalismus?
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Text: Maike Schöfer — Foto: Benjamin Jenak

Wir müssen über Weihnachten reden! Denn die Adventszeit zeigt uns eines sehr deutlich: das Christentum in Deutschland ist weiß und patriarchal. In Kinderbüchern, Krippendarstellungen, auf Adventskalendern, Bildern und Weihnachtsmärkten begegnen mir überall ein weißer Jesus mit Goldlöckchen und seine weißen Eltern Maria und Josef. Das ist #notmyjesus. Doch das Bild des weißen Jesus prägte sich den Menschen ein, wird bis heute und das ganze Jahr über von und in Kirchen unkritisch reproduziert – dabei ist es historisch weder korrekt noch dazu Ausdruck einer christlich-weißen Dominanz auf mehreren Ebenen. 

Zur Weihnachtszeit ballert uns die kapitalistische Schleuder diese Darstellung mit Wucht in die Geschäfte, auf die Straßen und in Häuser. Und das alles gipfelt im rassistischen Song „Do they know its Christmas“ von Band Aid, der hierzulande aus den Glühweinbuden dröhnt – und halb Deutschland summt beim Weihnachtsbummel fröhlich mit.

Oben drauf kommen romantische, kitschige Versionen der biblischen Weihnachtsgeschichte: übertriebene, saubere, perfekt arrangierte Szenen der Heiligen Nacht. Sorry, aber wo ist das Blut, der Schweiß, die Tränen, die Schreie der Geburt? Wo ist das Improvisierte? Wo ist das Mutige? Und wo ist das Weibliche? An Weihnachten ist davon nichts zu sehen – überglitzert von Lametta und schmucken Weihnachtskugeln, verdrängt von toxischen Gott*esbildern und christlich-patriarchalen Denkmustern. 

Und Maria? Hach Maria, was wurde nur mit dir gemacht all die Jahrhunderte!? Idealisiert zur demütigen, ergebenen und gottgefälligen Mutter solltest du das erstrebenswerte Vorbild für Frauen sein. #notmymary! Besonders an Weihnachten vermisse ich ihre unabhängige und sozialkritische Seite: Sie brauchte keinen Mann um schwanger zu werden (höhö), war ganz und gar keine „Hausfrau“ und machte ihren Mund auf gegen Ungerechtigkeiten. Hell yeah!

Wo ist denn das Weibliche? An Weihnachten ist davon nichts zu sehen – überglitzert von Lametta und verdrängt von toxischen Gott*esbildern und christlich-patriarchalen Denkmustern.

Doch die Heilige Familie mit Vater, Mutter, Kind haben das heute gängige, gesellschaftliche Ideal mitgeprägt und jedes Jahr wird es uns vor Augen gehalten: in den vielen Krippen unter Tannenbäumen oder auf zahllosen Postkarten. Das ist #notmyfamily. Dabei räumt ein Blick in die Bibel ziemlich schnell mit der romantischen, heteronormativen Zweierbeziehung und der bürgerlichen, weißen Kleinfamilie auf. In der Bibel gibt es – neben durchaus problematischen, patriarchalen, männerdominierten Familienstrukturen – nicht das eine Verständnis von Ehe und Familie. Abgebildet sind diverse Formen des Zusammenlebens: die beiden Frauen Ruth und Noomi zum Beispiel, die sich Treue schwören, füreinander und alleine das Leben meistern. Oder Jesus selbst, der seine Jünger*innen zu seiner wahren Familie erklärt. 

In all diesen unterschiedlichen Geschichten stecken für mich so wichtige Impulse für unser Hier und Jetzt: Vertrauen, Verlässlichkeit, Fürsorge, Solidarität. Das alles können Menschen genauso außerhalb konventionell-konservativer Konstellationen finden. Denn alle Familien sind heilig: Singles, lesbische Paare, Chosen oder Patchwork Families.

Die Macht der Bilder und Worte wird mir an Weihnachten besonders bewusst – und welche Auswirkungen das auf meinen Glauben hat. Bewusst und unbewusst werden in Kirchen und der Gesellschaft die traditionellen und starren Interpretationen weiter- und auch mitgetragen. Sie werden wenig hinterfragt, kaum erweitert oder aufgebrochen. Die Kirchen beschäftigen sich zu wenig mit Problemen: Rassismus, patriarchale Strukturen und toxische Traditionen. Gerade an Weihnachten wird all das lieber unbemerkt unter den Plüsch-Flokati gekehrt, ist doch das Fest der Liebe. Da möchte wirklich niemand diskutieren und miteinander streiten.

Nichts gegen Kitsch und Glitzer, aber Jesus kam nicht zwischen Lametta und auf einem XXL-Sofa in einer Villa am Wannsee zur Welt. Und, liebe Konservative: Jesus was a feminist, too.

Kritik und Aktivismus? Sind immer willkommen, aber doch bitte nicht an Weihnachten. Bitte nicht im Gott*esdienst, nicht am gedeckten Essenstisch und nicht unterm Tannenbaum. Bitte nicht auf der Weihnachtsfeier oder beim Schlendern über den Weihnachtsmarkt.

Weihnachten ist eigentlich so ganz anders. So anders, als es die gängigen und akzeptierten Darstellungen zu behaupten versuchen. Weihnachten: das Fest der Menschwerdung Gott*es in Jesus, das politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse in Frage und heftig auf den Kopf stellen soll. Nochmal für alle zum Mitschreiben: Die Geburt Christi stellt alle weltlichen Machtverhältnisse in Frage. Nichts mit HERRschaft, nichts mit VorHERRschaft. Gott* wurde Mensch: als zerknautschtes Baby in einem Stall.

Gott* wurde Macht von unten. All I want for christmas ist diese hoffnungsvolle Botschaft. Hoffnung für die Unterdrückten, Leidenden, Weinenden und Armen dieser Welt. Nichts gegen Kitsch und Glitzer, aber Jesus kam eben nicht zwischen Lametta und auf einem kuscheligen XXL-Sofa in einer Villa am Wannsee zur Welt. Ganz im Gegenteil. Und Jesus war verdammt nochmal nicht weiß. Und, liebe Konservative: Jesus was a feminist, too.

Diese Botschaften will ich sehen und hören, auf Postkarten, in Büchern und Songs. Her mit bunten Krippen, die einen Jesus als Person of Color zeigen, feministische und empowernde Mariendarstellungen, bunte, diverse Familienbildern. Her mit dem Mut, toxische Traditionen und Strukturen in Kirche und Gesellschaft aufzubrechen, das eigene Handeln zu reflektieren und Privilegien zu teilen. Besonders unterm Tannenbaum. Das ist #mychristmas.

Religionslehrerin und Vikarin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.

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