Text: Maike Schöfer — Foto: Benjamin Jenak
Queer sein und an Gott* glauben? Ja! Queer über Gott* nachdenken? Unbedingt! Queere Aspekte in der Bibel? Hell yes! Aber der Reihe nach. Von queer-feministischer Theologie habe ich während meines Religionspädagogik-Studiums an der Hochschule nichts gehört. Ich war zwar feministisch interessiert und in einem feministischen Freund*innenkreis verankert, aber Religion, vor allem Kirche, hatte dort keinen Platz.Und an meiner Hochschule war es genau anders herum. Queer sein und Kirche, das passte (damals) nicht zusammen.
Ich bewegte mich also zwischen den Welten. Meinen Feminismus hielt ich in der Kirche zurück – und meinen Glauben im Feminismus. Bis mir Bücher in die Hand fielen, in denen Feminismus und Glaube selbstverständlich zusammengedacht wurden. Bis mir Menschen begegnet sind, die queer und gläubig waren. Die habe ich übrigens online gefunden. Thank God for the Internet! Welch eine Erlösung, dachte ich damals und fühle es heute immer noch. Doch erst im Nachhinein merkte ich, welche Anspannung, welcher Druck sich in mir lösten.
Mein Blick auf die Bibel änderte sich daraufhin. Selbstbewusst und wie befreit las ich die mir so bekannten Geschichten neu – aus queerer und feministischer Perspektive. Eine Tür voller Schätze öffnete sich. Wow! Der einengende und unterdrückende Staub der Jahrhunderte fiel nach und nach von den biblischen Personen und Geschichten ab und sie fingen an zu glänzen und glitzern. Das hat mich gepackt. Und lässt mich seitdem auch nicht mehr los.
Queer eyes on the bible – das befreit. Also Augen und Bibel auf:
Lasst uns mit einer queeren Perspektive auf die Bibel blicken. Und da gibt es eine Menge zu entdecken: Josef im Prinzessinnenkleid zum Beispiel oder Noah unterm Regenbogen, Ruth und Noomi, zwei Frauen, die sich Treue schwören, David und Jonathan, zwei Männer in einer besonderen Beziehung zueinander. Und Maria brauchte auch keinen Mann um schwanger zu werden. Und zum Ende Jesus selbst. I mean Jesus, einfach Gott* und Mensch zugleich. Das sprengt easy die Kategorien Mensch und Gott*. Und wie!
Meinen Feminismus hielt ich in der Kirche zurück – und meinen Glauben im Feminismus. Bis mir Menschen begegnet sind, die queer und gläubig waren. Thank God for the Internet!
Die Geschichte von Ruth und Noomi im Ersten Testament mag ich besonders: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott“ (Ruth 1,16). Dies ist wahrscheinlich einer der beliebtesten Trausprüche. Nur wird dieser oft, ohne den Kontext zu nennen, für heterosexuelle Trauungen verwendet. Dabei sagt das Ruth zu ihrer Schwiegermutter Noomi. Von Frau zu Frau.
Und darum geht es in der Story: Noomi lebt mit ihrem Mann Elimelech und ihren zwei Söhnen in Moab. Dorthin sind sie aus Betlehem, ihrer Heimat, geflohen. Die zwei Söhne heiraten, Ruth und Orpa. Plötzlich stirbt Elimelech und kurz darauf auch die beiden Söhne. Die Frauen sind alleine. Schwiegermutter Noomi bricht mit Ruth und Orpa auf, zurück in ihre alte Heimat. An der Landesgrenze schickt Noomi beide Frauen wieder zurück und sagt ihnen, sie sollen neu heiraten, um ihre Existenzen zu sichern. Orpa kehrt um. Ruth aber spricht die bekannten Sätze – und bleibt bei Noomi. Alles gleicht letztlich einem Treueschwur.
Ruth verspricht ihrer Schwiegermutter Loyalität, Treue, Liebe, Fürsorge. Ein solches Versprechen zwischen zwei Frauen war zu dieser Zeit besonders, wurde es doch sonst nur in einer heterosexuellen Ehe eingegangen. Die Geschichte soll so etwa 1100 vor Christus stattgefunden haben. Die Gesellschaft befand sich in einem streng patriarchalen System. Frauen waren ökonomisch meist nur über eine Ehe abgesichert. Sie konnten nicht alleine, selbstständig, unabhängig leben. Sie waren fast immer von Männern abhängig.
Ruth und Noomi versuchen es trotzdem. Sie gehen ein gemeinsames Leben ein, geben sich ein Versprechen über viele Grenzen hinweg – trotz verschiedener Generationen, Herkunft, Religionen, über Geschlechternormen hinweg. Und all das in einem Moment der absoluten Ungewissheit. Das queer oder lesbisch zu nennen, ist vermutlich etwas voreilig. Ob die beiden ein Liebespaar waren, ist unklar. We don’t know. Aber wir könnten es so interpretieren.
Auch wenn es das Wort „queer“ zu biblischen Zeiten noch nicht gegeben hat, wird doch eines ziemlich deutlich: Es gibt nicht nur dieses eine Verständnis von Beziehungen in der Bibel.
So oder so: Wir wissen, dass sie eine Lebens- und Fürsorgegemeinschaft eingingen. Sie beschritten ihren ganz eigenen Weg. Auf ihre Art. Und wie die Story weiterging? Schlag auf: im Buch Ruth in der Bibel. Diese Geschichte und viele andere zeigen, dass selbst in der Bibel schon queere Facetten zu finden sind. Did you know that? Ich nicht. Und für mich war es augen- und herzöffnend. Heilend. Befreiend.
Auch wenn es das Wort „queer“ in unserem heutigen Sinne zu biblischen Zeiten noch nicht gegeben hat, wird doch eines ziemlich deutlich: Es gibt nicht nur dieses eine Verständnis von Beziehungen in der Bibel. Es gibt verschiedene Formen der Sexualität und der Identität. Das auszusprechen und festzuhalten ist wichtig, um die gängigen patriarchalen Interpretationen und Auslegungen biblischer Texten aufzubrechen und um sie zu erweitern.
Und genau deswegen braucht es queere Menschen selbst, die biblische Texte auslegen, die darüber sprechen, predigen, dozieren, schreiben. Gegeben hatte es sie schon immer, doch wurden sie nicht gehört, stattdessen überhört. Queers wurden nicht unterstützt, stattdessen erniedrigt. Und ihnen wurden Räume in der Kirche verwehrt, Teilhabe, Repräsentation, Rechte und Mitsprache genommen. Doch: Zeiten gendern sich. Genauso Theologie und Kirche.
Es ist immer noch a long way to go. Aber es gibt so wunderbare, queere Theolog*innen, Pfarrpersonen und Christ*innen. Und so gute Orte und Initiativen für queere Christ*innen, queere Gottesdienste und Bücher, Podcasts, Instagram-Profile und so viel mehr. Cheers! Danke! Segen! Queer eyes on the bible – das hat mich befreit. Und mir gezeigt, dass ich ich sein kann – eine queer feminist Pfarrerin unter dem Himmel Berlins.
Religionslehrerin und Vikarin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.