Text: Philine Schlick — Fotos: Benjamin Jenak
„Meine Hood“, bemerkt Lena Stoehrfaktor mit Blick über Berlin-Neukölln. Das Kinn gesenkt, die Brauen gehoben, gestikuliert die Rapperin gelassen inmitten eines Wespenschwarms, als gehörten die schwirrenden Insekten zum Arrangement. Dieses Szenario könnte auch eine Metapher sein: Die Rapperin, umschwärmt und attackiert, während sie selbst nur eines will: „Mucke machen.“ Ihren Anfang nahm die Geschichte der Musikerin 2005 – gemeinsam mit der „Conexion Musical“, einer Kombo aus dem viel beschworenen Berliner Untergrund.
Vier Soloalben hat Lena Stoehrfaktor rausgebracht und die Band „Das Rattenkabinett“ gegründet. Ihre Musik sei der beste Weg, sie kennenzulernen: „Rap rettet mich davor, zu verzweifeln.“ Die Tracks handeln von Demütigungen im Jobcenter, vom Gefühl des Nicht-Gesehen-Werdens, vom Kampf um Freiräume auf der Straße und in den Köpfen.
Sie schlägt philosophische Haken und teilt aus: Gegen Macker, rechtspopulistische Youtube-Kommentare, den Kapitalismus, das System: „Lena Stoehrfaktor / unabhängig von der Passform / wenn dir das zu deep ist, du nur konsumiern willst, dann such dir nen Führer oder Agitator / irgendein Arschloch, der dir sagt, was du denkst, was du fühlst, was du machst / aber wir haben nie in das Raster gepasst / wenn du willst, kommst du mit, die Betonung auf fak.“
In den persönlichen Texten rückt sie das Private ins gesellschaftskritische Scheinwerferlicht und erweitert die maskulin geprägte Rap-Landschaft um eine seltene Facette: Haltung. „Als ich angefangen habe zu rappen, fand ich es total cool, dass ich endlich die Sachen, über die ich mir Gedanken mache, in Texte packen kann. Zum Beispiel, um Leuten was zu erklären – ohne das autoritär zu meinen.“
Wie Corona alles veränderte
Mit „Seeräuber Lena“ adaptiert die Rapperin das Lied der Seeräuber-Jenny aus Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“. Im Video holt sie das Problem Gewalt gegen Frauen auf die Warschauer Brücke Berlins. Eine weibliche Selbstermächtigung in Ton und Bild – nicht ohne Grund trägt das Werk den Zweittitel „Das Brückenmassaker“. Es sind ihre Tracks gegen Sexismus, mit denen sie sich in der Deutschrapszene einen Namen macht.
„Viele können mit dieser Kritik nicht umgehen, weil sie denken, ich stelle damit ihr komplettes Leben infrage. Die wollen das nicht, weil sie das anstrengend finden“, sagt Lena Stoehrfaktor. „Wenn du erstmal anfängst, dich mit Dingen auseinanderzusetzen, machst du weiter. Dann kannst du die Augen nicht mehr davor verschließen. Das ist für manche schwierig.“
Sie selbst habe als Jugendliche Westberliner Underground-Rap gehört: „Da ging es nur um Tabubrüche. Das war meine Rebellion“, erinnert sie sich zurück. „Ich habe darüber gar nicht reflektiert. Später war klar: Ich kann zwar schlechten Rap hören, ihn aber nicht machen. Weil ich ja nicht so denke.“ Und so entstand ihr ganz eigener Stil: Rap mit der nötigen Prise Straßenstaub, der ohne Statussymbole und Beleidigungen auskommt.
„Ich fühle mich da oft alleine, weil ich versuche zu differenzieren. Aber ich treffe auch auf Menschen, die Bock auf Diskussionen haben. Und die sich wirklich drauf einlassen.“ Zuspruch aber bekomme sie von einer Minderheit. „Ich bekomme oft Feedback von einzelnen Leuten, die sagen: ‚Gut, dass es dich gibt und du die Dinge ansprichst.‘“
Seit 15 Jahren in Eigenregie
2018 erschien ihr Album „Blei“. Sie habe „alles reingegeben“, um durchzustarten. Doch dann kam Corona. Auftritte platzten und was bleibt, ist die harte Erkenntnis dessen, „was passiert, wenn äußere Einflüsse kommen, du zurückgeworfen wirst und wieder nur dich selbst hast“. Ein paar Corona-Tracks hat sie rausgebracht, doch die sozialen Netzwerke sieht sie nicht als tatsächliche Alternative: „Dort geht es nicht um die Musik. Und ich will MC sein.“
Ihre Musik war schon immer hausgemacht und ist es geblieben, schon aus Prinzip. Von den Zwängen der Musikindustrie wolle sie sich nicht abhängig machen. „Ich bin die Einzige, die für mich Promo macht, indem ich auftrete.“ Auf der Liste der Spielorte stehen linksalternative Jugendzentren im ländlichen Raum, kleine Clubs in großen Städten, Kundgebungen, Solikonzerte. Booking, Produktion, Verkauf: Das alles macht sie selbst. „Ein schmaler Grat zwischen Selbstverantwortung und Selbstausbeutung.“
In der Pandemie entschied sich Lena Stoehrfaktor dafür, neben der Musik einen festen Job anzunehmen. Gemeinsam mit dem Neuköllner Projekt Outreach baut sie den Jugendclub Q*ube für Queers zwischen 12 und 27 Jahren mit auf – einen sicheren Ort für Begegnung und Austausch, den ersten seiner Art in Neukölln.
Rap-Workshops für Mädchen habe sie auch vorher schon gegeben, erzählt sie. Und sie habe Freude dabei, „zu sehen, was die machen können, wenn sie sich was zutrauen“. Das queere Zentrum entstehe komplett in Eigenregie. Das schaffe zwar viel Freiheit, brauche aber klare Absprachen. Was es schon gibt: einen offenen Treff, eine Kreativwerkstatt, ein Musikstudio, Sport. Wenn Lena Stoehrfaktor zum „Karaoke- Montag“ lädt, dann umschwärmen sie die Jugendlichen. An solchen Tagen wächst was zusammen, weiß sie – und „öffnet die Herzen“.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!