Hartnäckig — René_ Rain Hornstein

Wie schwer kann es sein, eine geschlechtsneutrale Anrede in ein Ticketsystem zu bringen? René_ Rain Hornstein will die Deutsche Bahn in Bewegung bringen und streitet auf diesem Weg auch vor Gericht.
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Text: Susanne Kailitz — Foto: Max Gödecke

Dass sie zu viel Zeit mit der Bahn verbringen, sagen in Deutschland momentan eine Menge Leute. Meist liegt das darin begründet, dass sie aufgrund von Verspätungen deutlich länger in den Zügen des Unternehmens feststecken als vom Fahrplan angekündigt. Zu viel Zeit mit der Bahn verbringt auch René_ Rain Hornstein – das aber aus ganz anderen Gründen. Unzählige Stunden hat die nicht-binäre Person aus Berlin, die für sich die Neopronomen „em“ und „ems“ nutzt, seit 2019 in einer Auseinandersetzung mit der Bahn verbracht, sowohl vor Gericht als auch mit diversen Briefwechseln, Anträgen und Schreiben.

René_ Rain Hornstein streitet seit nunmehr vier Jahren mit dem Unternehmen um die richtige Anrede. Denn trotz eindeutiger Gerichtsurteile bietet die Bahn Menschen, die eine Fahrkarte buchen wollen, neben der Auswahl „Herr“ oder „Frau“ keine geschlechtsneutrale Option an. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht 2017 geurteilt, dass es in Deutschland neben den binären Geschlechtskategorien Mann und Frau auch eine nicht-binäre Auswahl geben muss.

Und im Juni 2022 urteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, dass die Bahn gegen das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung verstößt, wenn sie die Anrede nicht-binärer Menschen weiterhin nicht berücksichtigt. Die Umstellung wurde zum 1. Januar 2023 erwartet. Anstatt die Buchungssoftware umzuprogrammieren, hat die Bahn eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof erhoben. Das Ziel: Das Urteil soll erneut überprüft und so der Weg für eine neue inhaltliche Bewertung frei gemacht werden. Das Unternehmen bleibt also stur.

Stur, das kann auch René_ Rain Hornstein. Dabei gehe es nicht nur um persönliche Belange – und der Streit sei keine persönliche Fehde. „Ich habe kein grundsätzliches Problem mit dem Unternehmen, auch wenn ich vor Gericht immer wieder schlecht behandelt worden bin. Deren Social Media-Team zum Beispiel finde ich klasse. Mir geht es um einen simplen Grundsatz: Wie schwer kann es sein, eine geschlechtsneutrale Anrede zu benutzen?“ Die Klage sei das Ende einer Eskalationsspirale gewesen, so Hornstein. Auf freundliche Briefe mit der Bitte, die richtige Anrede zu beachten, habe die Bahn nicht ausreichend und pampig reagiert.

Ein Leben unterm Radar

Schätzungen zufolge leben in Deutschland bis zu 200 000 nicht-binäre Menschen, viele von ihnen leiden darunter, immer wieder misgendert und so daran erinnert zu werden, mindestens sprachlich ausgeschlossen zu sein. Das ist eine Erfahrung, die auch René_ Rain Hornstein oft gemacht hat. Ja, queere Themen seien heute gesellschaftlich präsenter als früher, es gebe viele Menschen, die achtsam seien und darauf achten würden, nicht zu diskriminieren. „Aber gleichzeitig haben wir es mit einer massiven Homosexuellen- und Transfeindlichkeit zu tun. Und die ist ehrlich gesagt im vermeintlich liberalen Berlin genauso da wie im kleinen Dorf. Wir sollten uns nichts vormachen: Deutschland ist kein sicherer Ort für trans* Menschen.“

Sich zu kleiden und zu stylen, wie es sich richtig anfühlt, sich so nach außen auszudrücken wie es das innere Empfinden ist: Das ist für Hornstein keine Selbstverständlichkeit. „Wenn ich mein Geschlecht ausdrücke, muss ich mit Angriffen rechnen.“ Hornstein hat dann die Wahl: Kompromisse eingehen, unter dem Radar bleiben. Oder Gefahr laufen, beleidigt, angegriffen oder verletzt zu werden. Ein Beispiel: Das Café für das Interview zu diesem Text ist schnell gewählt, viel schwieriger aber ist das Finden eines geeigneten Ortes für das Fotoshooting. Am Ende wird es der Sonntagsclub in Berlin-Prenzlauer Berg: ein Café und Kulturort für Lesben, Schwule, Transgender und ihre befreundeten Menschen.

Dass Portraitierte nicht überall einen sicheren Platz haben und sich entspannt fotografieren lassen können, das ist auch bei Veto, wo meist alle Fotos im öffentlichen Raum entstehen, noch immer eine Herausforderung. Und nur ein kleines Beispiel von vielen, die René_ Rain Hornsteins Alltag verkomplizieren. Immer in Anspannung sein, vieles permanent mitdenken und auch abwägen zu müssen, was für Menschen, die entsprechend ihrem empfundenen Geschlecht gelesen werden, gar keine Rolle spielt: Das stresst.

„Für mich ist von Bedeutung“, beschreibt René_ Rain Hornstein, „ob es auf einer Konferenz ein Bewusstsein für die richtige Anrede gibt und einen sicheren Weg der Anreise, der mich nicht ohne Schutz in öffentliche Verkehrsmittel führt.“ In den Wintermonaten sei es leichter, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne Aufsehen zu erregen. Im Sommer dagegen werde die Auswahl von Kleidung und Frisur schnell zur Herausforderung.

Sprache und Sichtbarkeit

Hornstein hat Psychologie studiert und promoviert zu der Frage, wie verinnerlichte Diskriminierungserfahrungen trans* Menschen prägen. Geschrieben wird im Homeoffice, um unangenehme Begegnungen weitestgehend zu vermeiden. Dass selbst das Fachgebiet, das doch viel sensibler als andere für die Belange von trans* Menschen ist, bei Tagungen oder Treffen noch immer nicht selbstverständlich immer und überall ein Safe Space für diese ist, zeigt, wieviel in der gesellschaftlichen Debatte noch zu verhandeln ist. Hornstein würde hier gern wirken, kann sich vorstellen, das irgendwann einmal von einem Lehrstuhl aus zu tun.

Und gleichzeitig gehört der Aktivismus zu Hornsteins Leben – und wird das auch weiterhin tun. Tatsächlich habe erst die Befassung mit Genderstudies und queerem Aktivismus seit etwa 2009 ein Bewusstsein für das eigene Sein gebracht: „Ich kannte vorher ja das ganze Vokabular nicht. Und es braucht nun einmal Sprache, um die Dinge begreifen und ausdrücken zu können.“ Im Plenum eines Bildungsstreiks habe eine Person Hornstein und Mitstreitende wütend auf ihr „dominantes Redeverhalten“ hingewiesen. „Das war ein krasser Aha-Moment. Ab da habe ich ein Bewusstsein für diese Dinge entwickelt und konnte auch mehr und mehr darüber sprechen“, fasst René_ Rain Hornstein zusammen.

Mehr oder weniger geduldig immer wieder dieselben Dinge erklären, damit auch andere die Belange von trans* Menschen verstehen und kommunizieren können: Auch das ist ein Teil von Hornsteins Leben. Viele journalistisch Tätige seien überraschend gut informiert, andere müssten noch die Basics lernen. Und manche hielten schmerzhafte Überraschungen bereit, weil Texte anders als abgesprochen doch falsche Pronomen und Formulierungen enthielten.

René_ Rain Hornstein, groß und mit extrem aufrechter Haltung, der das jahrelange Balletttraining anzusehen ist, mag auf den ersten Blick wie ein Mensch mit sehr dickem Fell wirken. Trotzdem bekommt der Panzer immer wieder Risse. Als die juristischen Beauftragten der Bahn in diversen Prozessen immer wieder misgenderten und Hornsteins Position als Marginalie bagatellisierten, sei das wieder und wieder verletzend gewesen.

Oft sind in solchen Momenten befreundete Menschen an Hornsteins Seite, manchmal zum Schutz und manchmal auch zum Trösten. Nicht alle trans* Menschen könnten auf solche Unterstützung zurückgreifen, erklärt René_ Rain Hornstein, deshalb sei diese privilegierte Position eben auch Verpflichtung, die Stimme nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere zu erheben. Auch wenn das immer wieder verdammt kräftezehrend sei.

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