Tief im Dickicht — Hannah Emde

Schon als Kind war Hannah Emde fasziniert, wenn sie den Familiendackel zum Tierarzt begleiten durfte. Heute ist sie selbst Medizinerin. Statt Hunde behandelt sie Nasenaffen und Riesenschlangen.
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Text: Ulrike Polster — Fotos: Benjamin Jenak

„Dass das notwendig ist, wurde mir nach meinem Freiwilligendienst auf den Philippinen erstmals richtig bewusst“, erzählt Hannah Emde. Sie erinnert sich an ein ihr bis dahin unbekanntes Ausmaß an natürlicher Schönheit: bunte Korallenriffe, tiefe Kraterseen, die im uralten Vulkangestein ruhten. Eine artenreiche Flora und Fauna prägten die Landschaft der südasiatischen Inselgruppe. Emde sah aber auch, wie die Natur auf den Philippinen ausgebeutet wurde. „Ein einschneidendes Erlebnis“, fasst sie zusammen. Komplette Lebensräume fielen der Landwirtschaft zum Opfer – oft gar nicht aus bösem Willen, sondern mehr aus einer Not heraus oder wegen fehlenden Umweltbewusstseins.

Während ihres Studiums an der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurde für Emde immer klarer, dass die Arbeit in einer konventionellen Tierarztpraxis für sie nicht in Frage kommt. Zu groß war ihre Sehnsucht nach fernen Ländern, zu groß ihre Abenteuerlust. Und die Eindrücke, die sie auf den Philippinen gewonnen hatte, ließen sie einfach nicht los. Also suchte Emde bewusst immer wieder nach Praktika außerhalb ihrer Komfortzone. Sie reiste innerhalb Europas, aber auch nach Afrika, Südostasien oder Lateinamerika.

Die Hamburger Tierärztin Hannah Emde behandelt Tiere auf aller Welt.
Die Hamburger Tierärztin Hannah Emde behandelt Tiere auf aller Welt.

Die 28-Jährige sammelte Erfahrungen in verschiedenen wissenschaftlichen Zoos wie Leipzig und Wuppertal und bildete sich zu Wildtierkrankheiten und Zoonosen weiter. Ein Engagement, das weit über die gängigen Studieninhalte hinausging, das aber auch Kraft und Zeit kostete. Emde sah wundervolle Landschaften, beobachtete einheimische Tiere, aß tropische Früchte. Sie lernte Kulturen und deren Umgang mit den vorhandenen Ressourcen kennen. Mit jeder Reise wurde für sie deutlicher: „Es gibt globale Probleme, mit denen wir uns aktiv auseinandersetzen müssen. Nur so können wir die Artenvielfalt unserer Erde erhalten.“

Nachhaltige Auslandeinsätze

2017 gründete Emde schließlich den Verein Nepada Wildlife. Der Verein hat sich den Natur- und Artenschutz auf die Fahne geschrieben. Mittlerweile zählt das Team um die Medizinerin 20 Mitstreitende mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Sie alle eint dabei eines: der tiefe Wunsch, die Welt ein bisschen nachhaltiger zu gestalten, um die Biodiversität zu erhalten. Alle arbeiten ehrenamtlich für den Verein. Dass ihr Einsatz für die Umwelt gesehen und auch für wichtig erachtet wird, zeigen die mehr als 100 Fördermitglieder, die Nepada Wildlife zur Seite stehen. Hannah Emde und ihr Team reisen heute regelmäßig nach Costa Rica oder Borneo, betreuen dort Auffang- und Auswilderungsstationen sowie Forschungsprojekte.

Die Auslandseinsätze des Vereins dauern oft mehrere Wochen oder gar Monate. Nur so kann Emde die geografischen und soziokulturellen Gegebenheiten kennenlernen und die lokalen Strukturen wirklich verstehen, verdeutlicht sie. „Wir arbeiten eng mit Umweltschutzorganisationen vor Ort zusammen, agieren auf Augenhöhe und schauen, wo konkret Unterstützung gebraucht wird und wie diese aussehen kann.“

Mit ihrem Verein versucht Hannah Emde, die Artenvielfalt zu erhalten.
Mit ihrem Verein versucht Hannah Emde, die Artenvielfalt zu erhalten.

In Guatemala beispielsweise begleitete der Verein ein Projekt zum Schutz wilder Aras. Lokale Gruppen hatten sich mit Hannah Emde in Verbindung gesetzt, um gemeinsam eine Idee dafür zu entwickeln, wie sie zum Schutz der Großpapageien, die heute nur noch im mittelamerikanischen Raum vorkommen, beitragen können. Der Verein half dabei, solarbetriebene Brutkästen für Jungtiere anzubringen. Außerdem wurden Kletterausrüstungen finanziert, die dringend für die Arbeit in der Höhe benötigt wurden.

Nachhaltig sollte die Hilfe sein, beschreibt die Hamburger Tierärztin. „Es geht nicht darum, eine Abhängigkeit der Locals zu mir oder unserem Verein herzustellen.“ Vielmehr gehe es um das Bereitstellen von Wissen, Erfahrung und Materialien, damit lokale Umweltschutzorganisationen ihre Arbeit auch in Zukunft erfolgreich durchführen können. „Unser Ziel bei jedem Projekt ist, dass wir uns irgendwann zurückziehen können und die Projekte ohne uns weiterlaufen.“

Der Regenwald in einer App

Wissen vermitteln und aufklären, das will Nepada Wildlife aber nicht nur in tropischen Gefilden, sondern auch in Deutschland. „Ein großer Schwerpunkt unserer Vereinsarbeit ist die Umweltbildung“, sagt Emde. Oft bekämen die Menschen in Deutschland ja gar nicht mit, wenn Arten im Regenwald aussterben. Die direkte Betroffenheit fehle.

Und noch weniger sei den Menschen hierzulande bewusst, wie eng das Artensterben weltweit mit dem eigenen Konsumverhalten zusammenhängt. „Dem Verlust der biologischen Vielfalt im Regenwald können wir in Deutschland nämlich aktiv entgegen wirken. Alles ist eng miteinander verbunden.“

An Schulen hält Emde Fotovorträge und diskutiert über Nachhaltigkeit.
An Schulen hält Emde Fotovorträge und diskutiert über Nachhaltigkeit.

Um gerade junge Menschen für die Thematik zu sensibilisieren, reiste Emde zunächst von Schule zu Schule, hielt Fotovorträge und diskutierte über Biodiversität und Nachhaltigkeit. An die Gespräche erinnert sie sich gerne zurück. Ungefähr dreißig Bildungseinrichtungen hat sie persönlich besuchen können, doch dann kam Corona.

Der Verein aber hatte ohnehin geplant, Bildungsmaterialien zum Download anzubieten. Mühevoll wurde ein innovatives Konzept entwickelt, das Schulen für die Umweltbildung einsetzen können – passend zum Lehrplan. Sie arbeiten mit einer kostenlosen App, die sich Elementen von Augmented Reality, also der Erweiterung der analogen Umgebung durch virtuelle Inhalte, bedient. Damit lässt sich etwa der Regenwald ins Klassenzimmer holen – oder während der Pandemie direkt zu den Kindern nach Hause.

„Fast alle Kinder in der siebten Klasse haben heutzutage ein Handy oder Tablet. Mit der App erleben die Lernenden einen gesunden Regenwald mit seiner beeindruckenden Geräuschkulisse. Sie lernen den Stockwerkbau kennen und entwickeln ein Bewusstsein für die natürlicheVielfalt.“

Artenschutz im Supermarkt

Doch die vom Verein erstellten Bildungsmaterialien sollen junge Menschen auch zum Nachdenken anregen. So können die Kinder zum Beispiel den Unterschied zwischen einem Regenwald und der angrenzenden Palmölplantage kennenlernen. Sie erleben, wie ruhig es plötzlich wird, wenn der Wald von Plantagen unterbrochen wird. Und sie sehen Nebelparder – eine selten gewordene Großkatze, die dem Verein Nepada Wildlife übrigens seinen Namen gab –, die nicht mehr von einem Waldstück ins andere streunen können, weil ihr Weg von gerodeten Flächen ohne schützendes Dickicht versperrt wird. Sie erfahren von hungrigen Orang-Utans, die in ihrem Lebensraum eingesperrt sind und keine Nahrung mehr finden. „Und genau dann begreifen die jungen Menschen, dass unser Handeln sich immer auch weltweit auswirkt.“

Hannah Emde möchte Menschen zu einem globalen Denken anregen.
Hannah Emde möchte Menschen zu einem globalen Denken anregen.

Hannah Emde geht es nicht darum, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder Fehler von anderen anzuprangern. Vielmehr möchte sie zu einem globalen Denken anregen. Sie möchte den Menschen dabei helfen, praktikable Lösungen für ein nachhaltiges Handeln zu finden. Emde weiß etwa, dass ein kompletter Verzicht auf Palmöl für die meisten Menschen unrealistisch wäre. Dennoch gäbe es mittlerweile eine Vielzahl an deutschen Unternehmen, die diesen begehrten Rohstoff nur noch aus nachhaltigem Anbau verwenden, von Plantagen also, auf denen den Tieren eigene Korridore zum Schutz gelassen werden. „Allein die Entscheidung im Supermarkt, auf eben solche nachhaltigen Produkte umzuschwenken, macht einen großen Unterschied.“

Umweltschutz fängt für die gebürtige Bonnerin darum schon im Kleinen an – und vor unserer Haustür. „Ich muss nicht in den Regenwald reisen, um mich für den Artenschutz stark zu machen“, sagt sie. Und auch in Deutschland gibt es Arten, die es zu erhalten gilt. So seien schon der Laubhaufen, der im Garten für die Igel liegen bleibt, das Insektenhotel am Balkon oder die kleine Wildblumenwiese in der Stadt Möglichkeiten, um selbst zum Erhalt der biologischen Vielfalt beizutragen.

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!

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