Text: Alexander Laboda — Fotos: Christopher Große-Cossmann
Wer sich mit Klopapier der Firma Goldeimer den Hintern abwischt, tut etwas für den guten Zweck. Denn für jede verkaufte Rolle fließt Geld in Projekte, um Menschen mit sauberem Wasser und einem Zugang zu Toiletten zu versorgen. Wie hoch der Betrag ist, lässt sich nicht genau sagen. Denn im Unterschied zu PR-Aktionen anderer Unternehmen – erinnert sei an einen Kasten Bier für einen Quadratmeter Regenwald – ist der Einsatz von Goldeimer nicht zeitlich und finanziell begrenzt. Die Gemeinnützigkeit ist hier der Unternehmenszweck. „Die Firma wurde gegründet, Gelder zu generieren, um Wasser-, Sanitär- und Hygieneprojekte in der Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren“, erklärt Malte Schremmer, Mitbegründer und Geschäftsführer von Goldeimer.
Malte Schremmer und seine acht Mitarbeitenden wissen um ihre Doppelrolle: „Wir sind Aktivisten, die versuchen gesellschaftlich-ökologische Probleme zu lösen – und wir sind ein klassisches Unternehmen, das Gewinne erzielen möchte“, sagt er, der sich selbst als „Chief Shit Advisor“ bezeichnet. Im Unterschied zu herkömmlichen Firmen gebe es bei Goldeimer keine profitorientierten Gesellschafter oder private Gewinnausschüttungen, erläutert Schremmer. Damit verliere auch die Bilanzsumme am Ende des Jahres an Bedeutung. „Für uns ist es auch in Ordnung, wenn wir plus minus null rauskommen, aber viel Geld in Wasser- und Sanitärprojekte gesteckt haben.“
Firmen mit unklarer Definition
Firmen wie Goldeimer tragen inzwischen verschiedene Bezeichnungen. Teils ist von gemeinwohlorientierten Unternehmen oder Sozialunternehmen die Rede. Die Branche selbst gibt sich international und spricht von Social Entrepreneurs oder Social-Start-ups. In der Bezeichnung Start-up steckt definitiv ein Hinweis auf die aktuelle Entwicklung: Die Zahl der Unternehmen wächst. Ein erst im Januar diesen Jahres veröffentlichter Bericht der Europäischen Union über „Sozialunternehmen und ihre Ökosysteme in Europa“ kommt zu dem Ergebnis: „Die Anzahl von Sozialunternehmen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Auch haben sie an Relevanz gewonnen.“
Es ist jedoch schwierig, den Trend mit Zahlen zu untermauern. Der EU-Bericht meldet beispielsweise für Deutschland 77 000 Sozialunternehmen, für Österreich aber lediglich rund 1 500 solcher Firmen. Es ist unklar, auf welcher Grundlage die Mitgliedsstaaten die Daten zusammengestellt und wie sich diese im Zeitverlauf entwickelt haben. Werden zum Beispiel andere Berichte herangezogen, etwa die Fachpublikation „Datenreport Zivilgesellschaft“, so ist es plausibel, dass für die hohe deutsche Zahl alle bestehenden gemeinnützigen GmbHs sowie sämtliche Stiftungen und Genossenschaften zusammengezählt wurden. Doch viele Stiftungen verfolgen keine wirtschaftlichen Zwecke. Und Genossenschaften agieren zwar stets zum Vorteil der Mitglieder, aber nicht zwangsläufig für das Allgemeinwohl.
Markus Beckmann, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement von Unternehmen an der Universität Erlangen- Nürnberg, ringt schon seit Jahren mit dem Problem, dass es keine Umsatz- oder Mitarbeitendenzahlen für den gesamten Bereich gibt. „Das liegt vor allem an der fehlenden Definition davon, was Sozialunternehmen sind“, meint er. Weitgehende Einigkeit allerdings bestehe darüber, dass solche Unternehmen auf die Verbesserung gesellschaftlicher Probleme abzielen und sich dafür unternehmerischer Mittel bedienen. „Aber nach dieser Definition könnte sich auch ein Dax-Konzern wie Bayer als Sozialunternehmen sehen. Gesundheit ist Teil des Gemeinwohls und Bayer fördert das im eigenen Verständnis über die Entwicklung von Medikamenten“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler.
Jenseits aller definitorischen Probleme ist aber auch Beckmann der Ansicht, dass die Branche an Bedeutung gewinnt: „Die Zahl der Gründungen, die die Welt mit einem nachhaltigen, fairen Geschäftsmodell verändern wollen, wächst.“ Zugleich habe auch die Sichtbarkeit solcher Unternehmen zugenommen. „Im Grunde ist das schon fast Mainstream. Auch viele große Unternehmen stellen ihre Werteorientierung oder die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten stark heraus.“
Goldeimer-Chef Malte Schremmer geht es indes nicht um die eigene Außendarstellung oder persönliche Rendite. Mit Blick auf die Wertedebatte in Zeiten von Corona und die Forderung nach mehr Klimagerechtigkeit sagt er: „Eigentlich ist ja klar, dass wir in allen Sektoren einen Wandel brauchen, ob das nun Verkehr, Energie oder die Gesundheit ist.“
Geändertes Konsumverhalten
Die Zahl der Menschen, die umweltbewusst leben möchten und einen Fokus auf Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit legen, wachse. „Die Forderung nach einer anderen Form der Wirtschaft, des Konsums wird lauter. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, damit sie langfristig am Markt bestehen“, sagt der Firmengründer.
Auf die Frage, warum er sich dem sanitären Bereich verschrieben habe, hat Schremmer eine einfache Antwort: „Ich hatte Durchfall.“ Die längere Erklärung lautet, dass der Unternehmer ab 2011 für die Organisationen „Viva con Aqua“ und die „Welthungerhilfe“ auf Projektreise in Nicaragua war. Als er selbst an Diarrhö litt, stimmte ihn die schlechte Sanitärversorgung vor Ort nachdenklich. In Deutschland habe er sich dann weiter mit dem Thema befasst, dem er eine „maximale globale Relevanz“ zuschreibt. „Zwei Drittel aller Menschen haben keine gesicherte Sanitärversorgung“, bemerkt er. „Nicht nur keine Toiletten, sondern vor allem keine Entsorgung oder Verwertung der Fäkalien im Anschluss. Es geht dabei um die Gesundheit ganzer Bevölkerungen.“
Aus dem Interesse entstand die unternehmerische Idee, der Komposttoilette „zu einer Renaissance“ zu verhelfen, wie es auf der Unternehmenswebsite heißt. Mit befreundeten Menschen entwickelte Malte Schremmer 2013 einen Prototypen. Im folgenden Sommer setzte die Gruppe zwei Kompostklos auf mehreren Musikfestivals ein. Im Jahr darauf erfolgte schließlich die Gründung von Goldeimer – angedockt an „Viva con Aqua“. Das dazugehörige Klopapier gibt es erst seit 2016. „Heute machen wir ungefähr ein Drittel des Umsatzes mit den Kompostklos auf Festivals, ein Drittel durch die Lizenzeinnahmen beim Klopapier und ein Drittel durch den Direktvertrieb von weiteren Produkten über unseren Onlineshop, zum Beispiel Komposttoiletten für Kleingärten.“
Wie viel Gutes Goldeimer seit der Gründung erreicht hat oder wie viel Geld in den Bau von Brunnen oder Toiletten geflossen ist, kann das Unternehmen nicht beziffern. Erst seit 2019 seien die Erträge nennenswert. Das fügt sich ins Bild der gesamten Branche. Wo es keine Umsatzzahlen gibt, existieren auch keine Studien zum Einfluss der Unternehmen.
Wirtschaftswissenschaftler Markus Beckmann ist mit Blick auf das allgemeine Kaufverhalten skeptisch: „Der Wunsch, mit seinem Konsum Gutes zu tun, ist heute ausgeprägter als früher. Sozialunternehmen ermöglichen das. Viele sind beim Konsum aber nicht konsequent. Sie kaufen zwar gerne den fair gehandelten Bio-Fruchtjogurt, fahren aber ein großes Auto.“ Auch volkswirtschaftlich vermutet der Experte gemischte Effekte. Produktionsbedingungen und Lieferketten der globalen Wirtschaft seien so komplex, dass ungewollte und womöglich unsichtbare Nebeneffekte auftreten. „Ein Beispiel wäre, dass ich ein Produkt von einem Sozialunternehmen kaufe, das weniger nachhaltige Produkt einer konkurrierenden Firma durch die sinkende Nachfrage im Preis sinkt und dann anderswo auf der Welt etwas billiger verkauft wird“, erklärt Beckmann.
Politik diskutiert Veränderung
Die Politik schreibt den Sozialunternehmen gleichwohl eine positive Wirkung zu. SPD und auch die CDU nahmen sich bereits 2018 vor, den Firmen zu helfen. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es etwa: „Social Entrepreneurship spielt bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher und sozialer Herausforderungen eine zunehmend wichtige Rolle.“ Dies wolle die schwarz-rote Koalition „noch stärker als bisher fördern und unterstützen“.
Angesichts der Corona-Krise erinnerte sich jüngst die SPD an dieses Vorhaben. „Die Zeit ist reif, dass über neue Wirtschaftsformen geredet wird und dass wir in der Politik auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen“, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil im Mai. Wie das aussehen kann, dazu haben die Parteien aber wohl mehr Fragen als Antworten: „Muss es immer höher, schneller, weiter, noch globaler, noch mehr Profit, noch mehr Rendite sein? Oder kann wirtschaftliche Stärke und gesundes Wachstum stärker zum Wohle der gesamten Gesellschaft eingesetzt werden?“, fragte Lars Klingbeil öffentlich.
Goldeimer-Chef Malte Schremmer dagegen hat klare Vorstellungen: Steuersenkungen. „Es gibt Unternehmen, die nehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr, und solche, die maximal auf Profit aus sind. Trotzdem zahlen alle die gleichen Steuersätze. Da würde ich sagen: Die Unternehmen, die engagiert sind, sollten niedrigere Sätze zahlen, weil sie auf andere Weise ihren Beitrag leisten.“ Ökonom Markus Beckmann findet diese Forderung berechtigt: „Das Steuersystem sollte die soziale und ökologische Bilanz von Unternehmen viel stärker berücksichtigen als bisher.“
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!