Genitales Funkeln — Glitterclit

Das Duo von Glitterclit geht auf Kuschelkurs mit sonst versteckten und häufig tabuisierten Körperteilen. Noa Peifer und Linu Blatt geben Vulva und Penis eine nie dagewesene stoffliche Form – und haben Redebedarf.
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Text: Philine Schlick — Fotos: Katrin Binner

Wo die Babys herkommen, davon haben die meisten eine Vorstellung. Aber wo kommen die Vulven her? Die Antwort kommt prompt: „Aus Noas Gehirn!“ Nun, eine Aussage, die natürlich nach Aufklärung verlangt. Noa Lovis Peifer und Linu Lätitia Blatt vertreiben unter dem Label Glitterclit farbenprächtige Modelle von Genitalien. Sie haben ungefähr die Größe eines kleinen Sofakissens und sind als solche auch gut zu gebrauchen – Peifer fertigt sie in Handarbeit aus glänzendem Stoff. Doch Viola die Vulvina, Doris die Klitoris, Penelope der Penis, Schwanette der Schwellkörper sind nicht nur zum Kuscheln gut, sondern auch für Aha-Effekte.

Denn sie machen Anatomie ersichtlich und auch Gemeinsamkeiten begreiflich – und das im wahrsten Wortsinne. Diese Sinneserfahrung wirke sehr entkrampfend, weiß Linu Blatt: „Wenn du vor einer Klasse stehst mit einem Glitzermodell und sagst: ‚Darf ich vorstellen, Doris die Klitoris!’, dann lachen erst einmal alle. Und das ist schön, weil es die Spannung rausnimmt.“ 

Das Duo hat sich über die Kunstpädagogik gefunden: „Kennengelernt haben wir uns im Uni-Kontext und in einem feministischen Kollektiv miteinander kreativ gearbeitet“, sagt Peifer. „Es ging viel um Selbstbestimmung, körperliche, sexuelle und queere Themen“, ergänzt Blatt. Als die beiden während des Studiums mit einem Aufklärungsprojekt an Schulen unterwegs waren, fiel ihnen eine entscheidende Lücke auf: Zwar gab es Holz-Penis-Figürchen, um das Abrollen von Kondomen zu üben, doch keine Vulva-Modelle. „Es gab eine Querschnittszeichnung, aber da habe selbst ich nicht ganz verstanden, wo vorne und hinten ist, um es salopp zu sagen“, erinnert sich Peifer. Zu kaufen habe es auch nichts Passendes gegeben.

„So schwer kann es ja nicht sein“, dachte Noa Peifer und setzte sich an die Nähmaschine. Das war die Geburtsstunde von Viola, die in rot und rost-rosa daherkam. „Das war nicht die beste Farbkombi, weil es schon sehr nach Fleischwurst aussah“, räumt Peifer lachend ein. Das habe für Irritationen bei den Jugendlichen gesorgt. Das tun Doris und Schwanette in ihrer jetzigen Form zwar auch, aber auf heitere, geradezu faszinierende Weise: mit Glitzer.

Überholte Interpretationen

 „Glitzerstoff schafft Abstraktion“, erklärt Blatt, und stehe für Kostbarkeit. Sympathien bringe das Eigenleben der Modelle. So ermögliche Moni, die Monatsblutung, eine nahbare Form des Dialogs – anders als ein Zeigestock auf Schautafeln. „Auf Instagram ist zu sehen, was Doris so erlebt“, meint Blatt. „Sie war auch schon mit uns im Urlaub.“ Peifer pflichtet schmunzelnd bei: „Stimmt. Wir sind durch Doris auf jeden Fall noch schräger geworden als vorher.“ 

Es sei von Anfang an die Idee gewesen, zweiteilige Modelle zu entwickeln, die ineinander passen: Viola, Doris und Moni sorgen sowohl getrennt voneinander, als auch in Kombination für Erhellung, genauso wie Penelope und Schwanette. Genau wie ihre lebendigen Vorbilder provozieren sie einen Diskurs auf mehreren Ebenen. „Es ist gesellschaftlich so viel daran geknüpft, was Menschen zwischen den Beinen haben“, sagt Peifer und zählt auf: Identität, Geschlecht, Eigenschaften, Sexualität, Lust. „Der Penis wird oft als aktiv beschrieben, die Vulva dagegen als passiv. Wir wollen mit unseren Modellen weg von der gesellschaftlichen Interpretation eines Lochs, in das etwas gesteckt werden muss“, sagt Blatt.

„Wir sind selbst nicht cis und wollen unsere Perspektive dementsprechend einfließen lassen.“ Beide möchten am liebsten mit keinem Pronomen angesprochen werden. Bei Glitterclit ist stets weder von „weiblicher“ noch „männlicher“ Anatomie, sondern schlicht von Genitalien die Rede. Denn, so klärt einer der selbstentworfenen bunten Sticker auf: „Nicht nur Frauen haben Clits!“ Was sich gut anfühlt, wie etwas aussieht – das sei eine sehr einzigartige Sache. 

Mythos Jungfernhäutchen

In dem Labyrinth aus Erwartungen und Zuschreibungen sei es besonders für junge Menschen schwierig, eine eigene Haltung und Empfindungen zu entwickeln – gerade dann, wenn über vieles nicht gesprochen werde. Ein prominentes Beispiel ist die vaginale Korona, bekannt als Jungfernhäutchen, über deren Beschaffenheit immer noch falsche Informationen in Online-Lexika und Lehrbüchern kursieren. „Es macht wenig Sinn an dieser Stelle nach Beweisen für Penisbesuch in der Vulvina zu suchen“, räumt Blatt mit einem Mythos auf. 

Erstaunte Gesichter und Reaktionen wie „Oje, das wusste ich gar nicht!“ und „Hätte ich das mal früher gewusst!“ sind Blatt und Peifer vertraut. Häufig schämten sich Menschen dann für ihr Nicht-Wissen. Ein Kreislauf, den Glitterclit durchbrechen möchte. Bald erscheint das von ihnen entwickelte Kinderbuch mit dem Titel „Untenrum und wie sagst du?“. Es soll zeigen, das alle Bezeichnungen für die Genitalien okay sind, auch die ausweichenden.

„Die Leute brauchen sich nicht dafür zu schämen, wenn sie sich schämen. Es ist einfach ein Thema, das gesellschaftlich schambehaftet ist“, sagt Peifer. Ob „Mummel“ als Kofferwort aus „Muschi“ und „Pimmel“, „Pullerschnecke“ oder „Pillefratz“: Die Wahl des Wortes spiele erst einmal eine untergeordnete Rolle, meint Blatt: „Ab dem Moment, in dem ich überhaupt Worte habe, kann ich mich äußern. Das ist auch essentiell bei der Prävention sexueller Gewalt.“ Den Wortschatz zu erweitern, könne bereichernd und heiter sein: „Einfach mal ‚Schniedelwutz‘ für die Vulva benutzen!“, schlägt Peifer vor. „Und ausprobieren, wie es sich anfühlt.“

Welche Begriffe nutze ich?

Mit ihrem zweiten Label „Körperwörter“ bietet das Duo außerdem noch ein handverlesenes Sortiment von Büchern an, die sich unterschiedlichen Aspekten von Sexualität, Gender, Körper und Gewaltprävention widmen. „Welche Gelegenheiten gibt es im Leben, bei den Menschen einen Lernanlass haben können, der auch Spaß machen kann?“, beschreibt Blatt. „Wir wollen Möglichkeiten schaffen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ein Körperempfinden zu entwickeln“. Gerade Kunst biete dafür einen Rahmen, ist Peifer überzeugt. 

Sexuelle Aufklärung ist ein Feld, auf dem das Angebot längst nicht den hohen Bedarf deckt, wissen Peifer und Blatt. Das sei ein strukturelles Problem: Es mangele an Material, an Geld, Bereitschaft und der Einsicht der Notwendigkeit. Gerade für feministische Ansätze gebe es keine stabile Finanzierung. Mit Glitterclit gerieten beide oft in den Zwiespalt aus eigenem Ideal und Selbstausbeutung: „Eigentlich sollen unsere Modelle für alle erschwinglich sein. Aber wir möchten auch keine ausbeuterischen Betriebe unterstützen und sie irgendwo billig fertigen lassen.“ Also bleibe es vorerst bei Handarbeit, mittlerweile in einem eigenen Atelier.

„Unsere Werkstatt befand sich drei Jahre lang in einem WG-Zimmer“, sagt Blatt. „Ein eigener Werkraum war definitiv ein großer Schritt für uns.“ Die beiden haben sich auf ein behutsames Wachstum geeinigt, um Beteiligte angemessen bezahlen zu können und auch nachhaltig Verantwortung zu übernehmen: „Wir wollen solidarisch bleiben.“

Dass der eingeschlagene Weg der richtige ist, daran erinnern Momente wie der auf dem Adventsmarkt. Das glitzernde Angebot wurde misstrauisch beäugt, viele hätten einen großen Bogen darum gemacht: „Die Gesellschaft war wohl noch nicht bereit für Glitzervulven auf dem Gabentisch“, stellt Peifer fest. Aber dann seien Kinder an den Stand gekommen und hätten unbeschwert mit den Modellen gespielt, nachdem die Mutter ihnen erklärt hatte, wo die Babys herkommen. „Uns erreichen auch Nachrichten, bei denen wir merken, dass es für Personen den einen entscheidenden Unterschied macht, zu wissen, wie die Klitoris aussieht.“ Und was die Zukunft bringen soll, darüber sind sich Peifer und Blatt einig: „Doris for president!“ 

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