Schwaches Leuchten — Faraz Fallahi

Faraz Fallahis Leben spielt sich hinter abgedunkelten Fenstern ab. Er kann das Bett nicht verlassen. Fallahi lebt mit ME/CFS, einer schweren neuroimmunologischen Erkrankung. Als Aktivist schafft er eine Lobby für Betroffene.
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Text: Susanne Kailitz — Fotos: Johanna Lohr

Ob es ihm besser geht? Das ist eine Frage, die Faraz Fallahi oft hört – und seine Antwort darauf ist selten so einfach, wie das Gegenüber sie sich wohl wünschen würde. Ja, es geht ihm besser im Vergleich zu vor ein paar Monaten. Damals führte Faraz Fallahi ein Leben in Dunkelheit, in seinem Bett in der Wohnung seiner Eltern. Abgeschirmt von allen Reizen, nur für ein paar Minuten am Tag in der Lage zu sprechen.

Welten liegen zwischen diesem Zustand und dem Leben, das er jetzt führt. Er kann wieder Musik hören, sich über Zoom mit Menschen austauschen. Und zum Hochzeitstag vor wenigen Wochen hat Faraz Fallahi seiner Frau ein Video aufgenommen, das ihn dabei zeigt, wie er sein Bett verlässt und sich auf einen Stuhl setzt.

Nicht viele Menschen können nachvollziehen, was dieser kleine Positionswechsel für Faraz Fallahi bedeutet. Weil nicht viele Menschen das kennen, womit der 40-Jährige seit Jahren lebt: ME/CFS, eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die mit tiefster Erschöpfung, Nervenschmerzen, kognitiven Beeinträchtigungen und Belastungsintoleranz einhergeht und einen großen Teil der Betroffenen dauerhaft ans Bett fesselt.

An Arbeiten ist für sie nicht zu denken, nicht an Sport, nicht an Reisen oder Kinobesuche. Stattdessen müssen sie lernen, was der Begriff Pacing bedeutet: das tägliche Einteilen der geringen Energiereserven. Für einen Einkauf, eine Dusche, ein Telefonat. Wer sich übernimmt, läuft Gefahr, einen sogenannten Crash zu erleiden, eine Zustandsverschlechterung, die tage- oder wochenlang anhalten kann und im schlimmsten Fall dauerhaft ist.

ME/CFS tritt oft in Folge einer Infektionskrankheit auf, einer Grippe oder einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. Rund 250 000 Menschen in Deutschland sind betroffen und lange blieb ihre Krankheit ebenso im Verborgenen wie die Erkrankten, die bisher keine Lobby hatten.

Ausgerechnet die Pandemie könnte das geändert haben: Denn ME/CFS kann auch eine Folge von Covid-19 sein und betrifft einen Teil der Menschen, die sich in den letzten drei Jahren mit dem Corona-Virus infiziert haben. Und ihre Zahl wird aller Wahrscheinlichkeit nach drastisch steigen, Schätzungen gehen davon aus, dass rund ein Prozent der mit Covid-19 Infizierten ME/CFS bekommen werden. Bei aktuell fast 40 Millionen Infizierten wären das rund 400 000 Menschen, die ME/CFS entwickeln. Bisher gibt es für sie keine geregelte Versorgung.

ME/CFS kaum erforscht

In hausärztlichen Praxen ist das Thema noch nahezu unbekannt und auch wenn an den meisten großen Kliniken inzwischen Long-Covid-Ambulanzen entstehen, ist das Wissen noch immer rudimentär. „Insofern lässt sich schon sagen, dass die Pandemie geholfen hat, weil sie die Krankheit viel sichtbarer gemacht hat und sie jetzt mehr Menschen ein Begriff ist. Aber ganz ehrlich? Bisher wurde hauptsächlich darüber geredet, passiert ist wenig. Es gibt kaum Studien, geschweige denn eine vernünftige Versorgung der Betroffenen“, sagt Faraz Fallahi.

Faraz Fallahi weiß nicht, welches Virus dafür verantwortlich ist, dass er heute so krank ist, dass von seinem alten Leben kaum etwas übrig geblieben ist. Seit 2018 hatte sein Zustand sich immer weiter verschlechtert. Der Informatiker musste erst seinen Job aufgeben und nach und nach alles, was er bisher gern getan hatte: die Musik, den Sport und den Austausch mit befreundeten Menschen. Von seiner Frau lebt er räumlich getrennt, weil die Sozialarbeiterin in Tübingen arbeiten muss und er auf die Pflege seiner Eltern in Esslingen angewiesen ist.

Warum Fallahi dennoch sagt, dass es ihm viel besser geht? Weil er sich eine Behandlung erkämpft hat, die für Kranke wie ihn eigentlich nicht vorgesehen ist. Die Kraft, die er dadurch neu gewonnen hat, setzt er zum großen Teil für Aktivismus ein: damit mehr von ME/CFS Betroffene Hilfe bekommen, damit es in Forschung und Gesundheitsversorgung vorangeht.

Es ist ein Aktivismus aus dem Krankenbett. Ein Aktivismus aus der Abgeschiedenheit heraus, der so vor ein paar Jahren wohl nicht möglich gewesen wäre. Fallahi hat sich über Twitter mit anderen Betroffenen vernetzt, über die sozialen Netzwerke Austausch und schließlich auch Aktionen organisiert. Und er hat nach monatelangen Anstrengungen eine Ärztin gefunden, die anders als viele andere nicht vor der Krankheit kapituliert, über die es bis heute so wenig wissenschaftliches Wissen und noch weniger Behandlungsmöglichkeiten gibt.

Über private Kontakte organisierte sie für Fallahi Anfang 2023 einen Krankenhausaufenthalt nach seinen Bedürfnissen: abgeschirmt von Reizen, mit Medikamenten und einer Blutwäsche, die als Behandlung längst nicht Standard und für die meisten Betroffenen weder bezahl- noch erreichbar sind. Für Fallahi brachte sie die Wende – vorerst. Nach dem ersten Hoch und einem viel besseren Zustand hat sich sein Befinden zwischenzeitlich wieder merklich verschlechtert, inzwischen geht es wieder aufwärts. Wo sich das Ganze langfristig einpegeln wird, ist offen.

Aufklärung im Kollektiv

Faraz Fallahi will, dass es nicht vom Glück und den Kontakten abhängt, ob Betroffene die Hilfe bekommen, die sie brauchen. „Das sind Menschen, die total von der Welt abgeschnitten sind, die ohnmächtig sind und verzweifelt, weil niemand hilft. Wenn du nicht zum Arzt kannst, weil du den Weg nicht schaffst, den Lärm und die Helligkeit im Wartezimmer nicht aushältst, es aber auch keinen Hausbesuch gibt, verzweifelst du.“ Faraz Fallahi weiß, wovon er spricht. In den Phasen, in denen er „wie ein Stück rohes Fleisch“ im Bett gelegen habe und kaum noch in der Lage gewesen sei, Nahrung zu sich zu nehmen, habe er über Suizid nachgedacht.

Heute aber sind diese Gedanken fern. Fallahi habe das Glück, dass seine Familie ihn pflegen könne und seine Frau durch Dick und Dünn mit ihm gehe und einen riesigen Kampfgeist habe – all das gebe ihm Kraft, die er nutzen wolle. Fallahi ist inzwischen vernetzt mit einer ganzen Gruppe Betroffener, Forschender und Behandelnder, die gemeinsam als „ME Kollektiv“ über die Erkrankung aufklären und dafür sorgen, dass die ärztliche Ausbildung und medizinische Versorgung sich deutlich verbessern, weil ME/CFS zum Thema gemacht wird.

Parallel zu diesem Einsatz hat Fallahi gerade eine Crowdfunding-Kampagne auf die Beine gestellt, um ein Video finanzieren zu können, dass die Krankheit erklärt. Auch wenn dieser Einsatz Fallahi immer wieder viel Kraft kostet: „Ich bin dankbar dafür, dass wir im Moment doch viel Aufmerksamkeit bekommen. Und gleichzeitig verfluche ich immer wieder den Mechanismus, nach dem viele Medien arbeiten: Da werden die Schicksale von Betroffenen ausgeschlachtet, ohne dass inhaltlich saubere Fakten geliefert werden.“

Wie beschränkt das Verständnis in vielen Redaktionen für die Krankheit noch immer ist, hat er gerade erst wieder selbst erfahren: Nach einem großen Artikel in einer Wochenzeitung über seine erfolgreiche Behandlung wurde Fallahi für eine Talkshow angefragt. Dass es ihm zwar viel besser geht als vorher, aber weder eine Anreise ins Studio noch ein Gespräch vor Ort unter vielen Menschen für ihn machbar sind, „das hat kaum jemand verstanden“. Weil es nicht möglich war, ihn per Video aus seinem Bett zuzuschalten, verpuffte die Chance, einmal mehr aufzuklären. „Das ist dann schon bitter“, fasst er zusammen.

Faraz Fallahi will sich nicht unterkriegen lassen. Für ihn hat sich die Tür zum normalen Leben in den letzten Monaten einen deutlichen Spalt weiter geöffnet – und das beflügelt auch seine Entschlossenheit. „Der nächste Schritt ist, alleine aufs Klo gehen und mich in einem Rollstuhl fortbewegen zu können.“ Denn dann rücke auch die Möglichkeit näher, wieder mit seiner Frau zusammenleben zu können. Und weiterzukämpfen. „Es ist noch so verdammt viel zu tun.“

Mit Veto geben wir dem Aktivismus im Land eine mediale Bühne. Warum? Weil es Zeit ist, all jene zu zeigen, die sich einmischen. Unser Selbstverständnis: Journalismus mit Haltung.

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