Text: Lisa Kuner — Fotos: Valeska Hoischen
„Ich bin damit groß geworden, mich in Büschen vor Nazis zu verstecken und um mein Leben zu bangen“, erinnert sich Dennis Chiponda an seine Kindheit im Süden von Brandenburg. Als Schwarzes Kind habe er Anfang der Neunziger die volle Wucht der „Baseballschlägerjahre“ zu spüren bekommen – eine Zeit, in der in Ostdeutschland rassistische Gewalt offen ausbrach, besonders unter Jugendlichen. „Diese Erlebnisse prägen mich bis heute.“ Der heute 30-Jährige wuchs in einer Lausitzer Kleinstadt als Sohn einer Polin und eines Mosambikaners auf. „Ich bin ein Kind kommunistischer Liebe“, verdeutlicht Dennis Chiponda, der sich selbst als „queeren ostdeutschen Afropolen“ bezeichnet. Mit der Vielschichtigkeit seiner Identität spiele er bewusst, um Schubladendenken aufzubrechen.
An seine Kindheit hat er jedoch nicht nur negative Erinnerungen: Früh beginnt er zu tanzen und Theater zu spielen, beides wird zu seiner großen Leidenschaft. Nach dem Abitur will er trotzdem schnell weg. Das Weiteste, das er sich als Arbeiterkind habe vorstellen können, sei Chemnitz gewesen, sagt er. Dort beginnt er sein Lehramtsstudium. „Chemnitz war auch schon ein Aufstieg für mich.“ Während dieser Zeit sei ihm zum ersten Mal klar geworden, dass es nicht normal ist, jede Woche von Neonazis verfolgt zu werden. Später wird Chiponda das Studium abbrechen, um zwei Jahre lang als Tänzer durch Europa zu touren, bis er sich für ein Politikstudium in Nürnberg entscheidet.
Nachwendebrüche
Seit drei Jahren ist er wieder zurück im Osten, in Leipzig. „Ich will hier Politik machen. Für Menschen, deren Biografie ich verstehe“, erklärt er. Chiponda ist unter anderem Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt bei der SPDqueer Sachsen. „Ich unterstütze nicht alles, was die Partei macht. Aber ich stehe hinter den Grundwerten Freiheit, Gleichheit, Solidarität.“ Darum kämpfe er für die Gleichstellung marginalisierter Gruppen – innerhalb der Partei und darüber hinaus. „Ich möchte ein Resonanzkörper für Menschen werden, die sonst keine Stimme haben und dort wirken, wo es kaum zu Berührungspunkten mit migrantischen Menschen kommt.“
Chiponda bezieht sich damit auf die für Ostdeutschland so typischen Nachwendebrüche: die Schwierigkeiten, sich an ein neues politisches System anzupassen und wirtschaftlich auf die Füße zu kommen. Auch seine Eltern haderten mit den Folgen der Friedlichen Revolution und mussten sich – zumindest teilweise – neu erfinden. „Mir wurde erst später klar, was meine Eltern geleistet haben, um uns Kindern eine gute Kindheit zu ermöglichen.“ Als Menschen mit Einwanderungsgeschichte sei es für sie noch viel komplizierter gewesen zurechtzukommen.
Chiponda weiß, welche Herausforderungen es mit sich bringt, als junge, Schwarze Person in Ostdeutschland zu leben: Von offen rassistischen Anfeindungen bis hin zu subtil geäußerten Zweifeln an seiner Eignung zum Studium hat er alles erlebt. Heute sind sie sein Antrieb.
Zukunftsvisionen
Er merke, dass er dabei ganz andere Ansprüche an Deutschland stelle als es seine Eltern: „Sie kamen als Gäste, sind dann zwar geblieben, aber sie haben sich damit abgefunden, dass sie als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden“, erzählt er. „Ich bin in der zweiten Generation mit dem Verständnis groß geworden, deutsch zu sein.“ Für Dennis Chiponda sei es nicht nur wichtig, ökonomisch abgesichert zu sein und Aufstiegschancen zu haben – er fordert in allen gesellschaftlichen Bereichen Gleichberechtigung ein.
Seine Tage spiegeln diesen Antrieb: Zwölf bis fünfzehn Stunden Arbeit seien keine Seltenheit. Chiponda jongliert verschiedene Ehrenämter und klärt auf. Eines seiner Projekte bekommt im Netz immer wieder viel Aufmerksamkeit: Weil Chiponda genervt war von Beleidigungen und Rassismus auf Dating-Plattformen, begann er auf Instagram seine Erfahrungen in Form von Screenshots zu teilen. Und viele seien überrascht gewesen, dass er solche Erfahrungen auch in linken Strukturen mache: „In der queeren Community gibt es genauso viel Rassismus wie anderswo.“ Mittlerweile melde er entsprechende Profile auch bei den App-Betreibenden.
Machtpositionen
Seit 2020 gehört Chiponda auch zur Jury des Projekts Jugendstil*, für das er auch arbeitet. Dessen Ziel ist es, junge Menschen mit Migrationsgeschichte in Ostdeutschland in ihrem Engagement zu unterstützen – finanziell und durch Workshops. „Die Leute kommen mit so coolen Projekten“, erzählt Chiponda und schwärmt von einer Person, die während des ersten Lockdowns schulische Nachhilfe via Twitch gab und so ein Mentoring-Programm anstieß.
Besonders wichtig ist ihm bei all dem der Dialog: „Wir müssen über all die Differenzen und Grauzonen reden.“ Andere Meinungen seien oft schwer auszuhalten. „Aber ich bin mir sicher, dass es das Einzige ist, das uns weiterbringt.“ Schon während seiner Schulzeit habe er die Erfahrung gemacht, dass Gespräche Vorurteile aus dem Weg räumen können. Doch er weiß auch, „dass es eine eigene Machtposition braucht. Ich muss Verantwortung übernehmen, um etwas zu verändern. Spätestens Black Lives Matter hat mir gezeigt, dass wir uns organisieren müssen – oder es passiert auch weiterhin nichts“, zeigt sich Chiponda entschlossen.
Für die Zukunft träumt er groß: „Ich wäre gerne der erste Schwarze Innenminister“, sagt er grinsend, als würde er das nicht ganz ernst meinen. Aber dann fügt er mit Nachdruck hinzu: „Ich bin sicher, ich könnte viel verändern.“
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