Spurensuche — Leonie Baumgarten-Egemole

Zur weltweiten Klimagerechtigkeit gehört es auch, rassistische und koloniale Strukturen zu überwinden. Wie sich Leonie Baumgarten-Egemole dafür einsetzt und was sie an den Protesten von Fridays for Future kritisiert.
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Text: Marius Münstermann — Fotos: Thomas Pirot

Wer sich Heidelberg von Leonie Baumgarten-Egemole zeigen lässt, bekommt zu sehen, was den wenigsten beim Anblick der schmucken Altstadtfassaden auffällt: Spuren des deutschen Kolonialismus. Im Stadtbild sind sie allgegenwärtig, „von den meisten werden sie bloß nie hinterfragt“, sagt die 22-Jährige – und will das ändern.

Als Treffpunkt schlägt sie den Bismarckplatz vor, einen der zentralen Knotenpunkte der Stadt. Am Rande des geschäftigen Bus- und Straßenbahnhofs geht die steinerne Büste des Namensgebers ein wenig unter. „Damit ehren wir bis heute einen Wegbereiter des Kolonialismus“, sagt Baumgarten-Egemole. So war es Reichskanzler Otto von Bismarck, der Vertreter der Großmächte 1884 nach Berlin einlud, um ihre Gebietsansprüche in Afrika abzustecken. Das unter Bismarcks Regie erarbeitete Abschlussdokument der Konferenz, die sogenannte Kongoakte, besiegelte die koloniale Aufteilung eines ganzen Kontinents. Trotzdem gibt es bis heute in fast jeder halbwegs großen deutschen Stadt einen nach ihm benannten Platz.

Zielstrebig steuert Leonie Baumgarten-Egemole die nächste Station an: die Kneipenzeile von Heidelberg. Um den Namen des alteingesessenen „Gasthauses zum M“ war in den letzten Jahren ein heftiger Streit entbrannt. Wie in anderen Städten forderten aktivistische Gruppen auch hier eine Umbenennung. Ein Schwarzer Student stellte Anzeige wegen Beleidigung. Der Wirt verwies zunächst darauf, dass er den Namen mit dem Pachtvertrag übernommen habe, ihm seien die Hände gebunden. Nach Diskussionen wurde die Kneipe im Sommer unbenannt – sie heißt jetzt nur noch „Der M“. Baumgarten-Egemole hat für diese absurde Anekdote kaum mehr als ein ungläubiges Lachen übrig, wurde der Name ausgerechnet auf den kritisierten Begriff gekürzt.

Subtiler versteckt sich das Erbe des Kolonialismus dagegen an der altehrwürdigen Heidelberger Universität. „Dort wurde koloniales Wissen produziert und wird teils bis heute reproduziert“, sagt Leonie Baumgarten-Egemole. Ein Gedenkstein vor dem Geographischen Institut etwa erinnert an Alfred Hettner (1859 – 1941), der als erster Inhaber eines eigenen Lehrstuhls für Geographie in Heidelberg lehrte und Vorsitzender der Heidelberger Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft war. Eine kritische Aufarbeitung aber finde bis heute nicht statt, beklagt die Aktivistin.

Der Verein schwarzweiss, der koloniale Orte in Heidelberg kritisch dokumentiert hat, hält zudem fest: „Durch Forschungsexpeditionen, Kartierungen, Vermessungen und Ressourcenbewertungen lieferte die Geographie die wissenschaftliche Untermauerung zur Ausbeutung der Kolonien.“ Hettners Werk „Der Gang der Kultur über die Erde“ von 1923 stehe stellvertretend für das seinerzeit gängige Hierarchiedenken, das die Menschheit in „Rassen“, „Primitive“, „Höhergestellte“ kategorisierte.

Doch auch Leonie Baumgarten-Egemoles Studiengang ist nicht frei von kolonialem Erbe – sie studiert Jura. Zu den berühmten Absolventen der Universität zählt beispielsweise der Jurist Theodor Seitz, der nach seiner Zeit in Heidelberg Karriere im deutschen Kolonialapparat machte. Zunächst als Kanzler und Gouverneur in der Kolonie Kamerun, später als Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika. Und auch noch nach dem Ersten Weltkrieg vertrat er als Ehrenpräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft prominent kolonialrevistionistische Ansichten.

Ermüdet vom Aktivismus

Für einen bald erscheinenden Podcast ist Leonie Baumgarten-Egemole den kolonialen Spuren in der Stadt nachgegangen – es ist eines ihrer vielen Engagements. So leitet sie das Antirassismus-Netzwerk Heidelberg und bringt sich bei United Colors of Change ein, einer aus den Black-Lives-Matter-Protesten hervorgegangenen Gruppe. In diesem Jahr hat sie schon die zweite Auflage des Afro-Festivals Heidelberg mitorganisiert. Außerdem ist Baumgarten-Egemole Mitglied der Gruppe Afrodeutsche Jurist*innen und bietet Geflüchteten pro bono rechtliche Beratung bei deren Asylverfahren an.

„Ich habe oft das Gefühl, es müsste mehr passieren und dass ich mich noch mehr engagieren müsste.“ Sie kenne es aber auch, wegen ihres Aktivismus kurz vor einem Burnout zu stehen. „Auch deshalb, weil ich in meinem Alltag selbst von den Dingen betroffen bin, gegen die ich mich engagiere. Das ermüdet.“ Sie beschreibt die Blicke, wenn sie als einzige Schwarze Frau über die Straße laufe: „An manchen Tagen will ich meine Haare nicht offen als Afro tragen, um nicht noch mehr Blicke auf mich zu ziehen.“

Aufgewachsen ist Leonie Baumgarten-Egemole in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bonn. Ihr Vater kommt aus Nigeria, ihre Mutter ist Deutsche. In der Schule war sie das einzige Schwarze Kind. „Der Kontakt zu anderen Schwarzen Menschen fehlte damals“, sagt sie rückblickend. Das aber änderte sich, als sie im Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie nach Tansania zog. In Daressalam, der Metropole am Indischen Ozean, arbeitete ihre Mutter für eine große Organisation in der Entwicklungszusammenarbeit. Und die Tochter besuchte eine internationale Schule, in ihrer Freizeit entdeckte sie ihr soziales Engagement – bei Projekten für Waisenkinder.

Sicherlich sei da auch etwas Naivität dabei gewesen: das westlich-sozialisierte, privilegierte Mädchen aus Deutschland, das sich der Waisenkinder in Tansania annimmt. Doch entscheidend ist für Leonie Baumgarten-Egemole der Rückblick: „Das ist auch ein Appell, sich selbst und die eigenen Erfahrungen immer kritisch zu reflektieren. Selbst als Schwarze cis Frau mit Rassismuserfahrungen.“

Kritik an Klimabewegung

Heute sei sie in ihrer Familie die größte Kritikerin der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit, weil darin „viele koloniale Machtverhältnisse“ fortgesetzt würden. Deshalb brauche es echte Reformen. Parallelen zu den strukturellen Problemen in der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit sieht Leonie Baumgarten-Egemole auch in der europäischen Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich mehrheitlich aus weißen, privilegierten Menschen zusammensetze: „Häufig kommen von diesen Leuten aus dem Globalen Norden vermeintliche Lösungen für die Klimakrise im Globalen Süden, der stärker von dieser Krise betroffen ist.“ Beispiel: Elektromobilität. „Woher kommen denn die Rohstoffe für diese Industrie?“, fragt Baumgarten-Egemole. „Und wem stehen die neuen Elektroautos zur Verfügung? Unsere alten Diesel-Autos werden beispielsweise nach Äthiopien exportiert.“

Solche Fragen habe sie auch im Austausch mit den Engagierten gestellt, die in Heidelberg hinter Fridays for Future stehen. Der Widerstand aus der Klimabewegung habe sie überrascht. „Da gab es schon Stimmen, die meinten: ‚Es geht darum, den C02-Ausstoß zu reduzieren. Jetzt bitte nicht noch das Fass Rassismus aufmachen.‘“ Für Leonie Baumgarten-Egemole allerdings ist klar, dass Rassismus nicht nur ein Problem unter vielen ist, sondern alle Lebensbereiche und Themen betrifft. „Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft. Deshalb müssen wir unseren Kampf gegen Rassismus mit anderen Kämpfen verknüpfen.“

Zum globalen Klimastreik im September vergangenen Jahres rief in Heidelberg neben Fridays for Future auch die Gruppe United Colors of Change auf. Die Begründung dazu fiel deutlich aus: „Die Klimakrise ist rassistisch, wird durch neokoloniale Strukturen verursacht und verstärkt.“ Diese Feststellung sollte sich auch darin spiegeln, wer bei der Abschlusskundgebung das Wort hatte. So berichtete etwa eine Aktivistin der togoischen Community in Deutschland, wie die Firma Heidelberg Cement, der zweitgrößte Zementproduzent der Welt, in ihrem autoritär regierten Heimatland für die Rohstoffgewinnung die Umwelt zerstöre und Menschen vertreibe. „Diese Stimmen müssen wir viel öfter hören“, fordert Leonie Baumgarten-Egemole.

„Mein Jura-Studium hilft mir, meinen Aktivismus zu untermauern“, sagt sie. So habe sie nicht nur die Moral auf ihrer Seite, sondern auch das Recht. Das helfe ihr auch bei ihrer ehrenamtlichen Beratung von Asylsuchenden. Und wenn geltendes Recht eben nicht ausreiche, müsse für neue Gesetze gekämpft werden. Etwa für ein bundesweites Anti-Diskriminierungsgesetz, das – anders als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – seinen Namen wirklich verdiene.

Doch wie schafft sie das, all diese Kämpfe auf einmal zu führen? „Ich mache meinen Aktivismus nicht für mich selbst“, sagt sie bestimmt. Trotzdem – oder gerade weil sie inzwischen eine große Verantwortung für andere spüre – sei es ihr wichtig, auf sich und ihre Kapazitäten zu achten. Im Austausch mit anderen engagierten Menschen spricht sie offen über die Erschöpfung infolge von andauerndem Aktivismus.

Bei United Colors for Change haben sie deshalb einen Stammtisch gegründet – und um mit Menschen zusammenzukommen, die nicht so viel Zeit für politisches Engagement aufbringen können. Die wirklich politisch-aktiven Kreise seien gerade in Heidelberg sehr studentisch geprägt, so Baumgarten-Egemole. „Wir wollen, dass auch Leute in den Austausch kommen können, die in Vollzeit arbeiten. Oder Familien mit kleinen Kindern.“ Denn – auch das formuliert sie als Appell – es gelte mehr als je zuvor: „Vernetzt euch.“

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!

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