Text: Philine Schlick — Fotos: Benjamin Jenak
Ostritz: eine unscheinbare ostsächsische Gemeinde, gelegen zwischen Zittau und Görlitz. 2000 Menschen leben hier entlang der Grenze zu Polen. Tourismusmagnet ist ein Kloster aus dem 13. Jahrhundert, ein weitläufiges Gelände, das idyllisch an der Neiße liegt. Schlagzeilen allerdings machte Ostritz, weil der NPD-Bundesvorsitzende Thorsten Heise die Gemeinde zur Veranstaltungsstätte des Rechtsrock-Festivals „Schild und Schwert“ werden ließ.
Dreimal nacheinander kamen Hunderte Rechtsextreme in die Provinz: Kameradschaften, Hooligans, Kampfsportgruppen, Rechtsrockfans und NPD-Kader. An den Wochenenden war die Polizei mit einem Großaufgebot präsent. 2020 wurde das Festival nach einigem Hin und Her abgesagt – und seitdem spricht auf dem Online-Auftritt nichts für eine Fortsetzung. Auch deshalb nicht, weil das entsprechende Objekt laut Berichten einen neuen Eigentümer fand. Schauplatz des Neonazi-Großevents: Das Hotel „Neißeblick“, eine ehemalige Textilfabrik, etwa so groß wie das Schloss Bellevue. Mit dem Mieter Thorsten Heise, einem militanten und mehrfach vorbestraften Neonazi, hatte der frühere Inhaber keine Berührungsängste. Die Verwaltung der Gemeinde und viele Menschen aus Ostritz und Umgebung dagegen schon.
Auflagen wurden erlassen, ein Alkoholverbot verhängt und ein breit aufgestellter Protest organisiert – vorneweg die Bürgermeisterin Marion Prange (parteilos), die im Sommer 2022 von einer jungen Nachfolgerin abgelöst wurde. An ihrer Seite standen Menschen und Gruppen aus der Zivilgesellschaft, die mit dem Ostritzer Friedensfest eine Gegenbewegung im Ort entstehen ließen. Von Anfang an dabei war auch das Alternative Zentrum Meva.
Schon im ersten Jahr des Protests stellte der Verein einen Imbiss- und Infostand auf, der die Aufschrift „Messer und Gabel statt Schild und Schwert – Nazis bringen uns zum Kochen“ trug. In den Gesichtern von Josefine Johne und Bastien Eifler breitet sich ein Grinsen aus. Beide standen damals selbst am Tresen – und sind dem Zentrum schon lange Zeit verbunden.
In jungen Jahren bereits haben Johne und Eifler das ehemalige Verwaltungsgebäude einer Textilfabrik mit umgebaut und neu belebt. „Freizeitangebote waren schon immer Mangelware in Ostritz“, erzählt Josefine Johne. „Es gab schon Jugendclubs“, räumt Bastien Eifler ein. „Aber da kamst du mit deinem Freiheitsbedürfnis schnell an Grenzen.“
Subkulturelles Soziotop
Vom Eigentümer war das betagte Haus in der Ostritzer Viebigstraße dem Kollektiv 2009 als sogenanntes Wächterhaus freigegeben worden. Gemeint sind leerstehende Gebäude, die mit Einverständnis der Besitzenden für wenig Geld zur Verfügung stehen: Vandalismus kann so verhindert, Witterungsschäden eingedämmt, Kultur kostengünstig untergebracht werden. Ein Gewinn für alle Seiten. Und so begann in Ostritz das Alternative Zentrum Meva zu entstehen, „gewachsen aus einem Freundeskreis, der weltoffen und gegen rechts gesinnt ist und damit im Osten schon immer einen gewissen Gegenkultur-Charakter hatte“, meint Bastien Eifler. Vor allem die Suche nach Proberäumen stand weit oben auf der Liste: „Es gab das Bedürfnis, Gleichgesinnte zu treffen und Musik zu machen.“
Genügend Platz dafür bot das Gebäude mit dem großzügigen Obergeschoss, Clubraum und einem Gewölbesaal für Konzerte. Die Meva wurde prägend für die Subkultur im Dreiländereck, vernetzte sich zudem mit anderen gleichgesinnten Initiativen aus Görlitz oder Zittau: Es gab gegenseitige Einladungen, Soli-Partys, Austausch mit anderen Clubs und Zentren.
2012 aber drohte der Verkauf des Hauses. Das Kollektiv gründete daraufhin einen Verein, um das Zentrum offiziell zu übernehmen. Mit dieser „verbindlicheren Struktur“, erzählen Johne und Eifler, wurde aus der losen Gruppe ein fester Kern. Auch Familiengründungen, Wegzüge, abweichende Interessen führten dazu, dass sich das Team verkleinerte.
Nichtsdestotrotz wuchs die Idee weiter – und es kamen namhafte Bands der linksalternativen Szene wie Pisse, Pascow, Chefdenker, Eye of Time. Gleichzeitig wurde die hauseigene Bühne zur Spielwiese lokaler Bands. Draußen wurde nicht nur gegärtnert, sondern auch das jährliche Sommerfest zelebriert. Dass sich vier Jahre später das kulturelle Geschehen notgedrungen darauf beschränken sollte, ahnte damals aber noch niemand. Das Bauamt der Stadt Görlitz verhängte 2016 nach einer Besichtigung des Areals ein Nutzungsverbot. Bauarbeiten waren fällig geworden: Sanitäranlagen, Belüftung, Fluchtwege, Brandschutz, Abwasser. Das ganze Programm. „Wir waren in Schockstarre“, erinnert sich Josefine Johne.
In ungezählten Plena sei darüber diskutiert worden, wie es weitergehen soll. „Uns wurde klar: Entweder, wir stellen uns diesen bürokratischen Hürden oder das war’s. Wir hatten das Haus, konnten es aber nicht nutzen“, fasst Bastien Eifler zusammen. Also fiel eine Entscheidung im Kollektiv: „Wir müssen es versuchen. Wenn wir es nicht machen, macht es niemand.“
Sämtliche Ersparnisse flossen in den Bauantrag, die freie Zeit in Förderanträge und nötige Gutachten. Ein langer, zermürbender Prozess. „Die Summen sind jenseits von Gut und Böse für einen ehrenamtlich arbeitenden Verein“, konstatiert Bastien Eifler. „Aber es waren immer genug Leute dabei, die gesagt haben: ‚Wir wollen das!‘“
Jahrelanges Auf und Ab
Die Stadt Ostritz habe das Umbau-Vorhaben mit einem wohlwollenden Schreiben begleitet. Die damalige Noch-Bürgermeisterin Marion Prange erkannte die Bedeutung des Alternativen Zentrums für Ostritz und die Region an. Das Sommerfest auf dem Außengelände ist die einzige und prominenteste Veranstaltung, die derzeit stattfinden kann: mit Bastelständen, Spielen, Schminken, Streetart-Workshops, Konzerten, Disko. Josefine Johne schwärmt von Momenten wie diesem: „Letztes Jahr spielte eine Frauenband und drei kleine Mädchen haben sich begeistert Autogramme geholt. Nachher haben die Künstlerinnen mit ihnen für ein Foto posiert. Als junges Mädchen habe ich nie weibliche Vorbilder gesehen, die eine solche Art von Musik machen und nicht nur als ‚hübsche Lady auf der Bühne‘ vermarktet wurden.“ Diese Szene beschreibe, was die Meva ausmacht: Diversität und Nachbarschaftlichkeit.
Den Wert dieser Projekte kennt auch Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen. Solche Zentren wie Meva in Ostritz würden positive Visionen für die Region schaffen und dem „Leerwerden“ Ostsachsens entgegen wirken. Schickert arbeitete hier 19 Jahre lang als mobile Beraterin und ist mit den Strukturen vertraut. „Die Gegend ist eine Hochburg für Nazi-Aktivitäten“, sagt sie.
In der Oberlausitz stehen vielerorts Grundstücke und Immobilien zu Spottpreisen zum Verkauf – ein Umstand, den Rechtsextreme nutzen wollen, um Fuß zu fassen, weiß Petra Schickert. „Um das zu verhindern, brauchst du eine aufgeklärte Bürgerschaft, die eine Haltung hat und allen voran brauchst du ein Stadtoberhaupt, das den Widerstand auch breit kommuniziert.“ In Ostritz sei dies gelungen – insbesondere, weil hier die verschiedenen Protestformen nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gebündelt worden seien.
„Was ich am Beispiel Ostritz klasse finde ist, dass es die Gemeinde mit Kreativität geschafft hat, aus dem Reagieren ein Agieren zu machen“, resümiert Petra Schickert. Mit regelmäßigen Kulturveranstaltungen wie der Filmreihe „Ostritz schaut hin“ oder dem Sommerfest gelinge es hier, über das Jahr Bewusstsein zu schaffen, Ängste zu nehmen und Flagge zu zeigen.
Der Zuspruch und die anerkennenden Worte von anderen ermutige den gesamten Verein, der im November 2021 nach langem Zittern den Zuschlag für Fördergelder in sechsstelliger Höhe erhielt. Geplant ist neben Proberäumen auch ein Begegnungsort für regelmäßigen Konzert- und Barbetrieb und ein Kulturcafé. „Die Kneipenkultur, wie es sie zu Ost-Zeiten gab, ist im Ort nahezu ausgestorben. Begegnungsräume oder schlicht Kneipen sind nach 1989 gerade in provinziellen Gegenden Mangelware geworden“, sagt Bastien Eifler. „Wir wollen Menschen zusammenbringen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind“, ergänzt Johne.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!