Nie-wieder-Versprechen — Ben Salomo

Als er Vater wurde, kehrte der jüdische Rapper Ben Salomo der Hip-Hop-Szene den Rücken. Unvereinbar schien ihm seine neue Rolle mit dem Antisemitismus, der ihm entgegenschlug. Heute klärt er Jugendliche an Schulen auf.
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Text: Stefan Kloß — Fotos: Benjamin Jenak

2021 ist das Festjahr, in dem 1 700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gewürdigt werden. Für den Musiker und Autor Ben Salomo einmal mehr Anlass, seine Stimme zu erheben. Sein aktuelles Lied „Deduschka“ („Großvater“) widmet der Rapper den Opfern der Terroranschläge von Hanau und Halle. Er singt von zwiespältigen Heimatgefühlen, vom verratenen Vertrauen seiner Großelterngeneration, der Sehnsucht nach Frieden für seine Nachkommen – und liefert mit diesem spannungsreichen Spiegel jüdischer Identität in Deutschland gleichzeitig den offiziellen Song für das Festjahr.

Die Politik nehme das Jubiläum gerne zum Anlass, meint er, um „das Erblühen jüdischen Lebens“ hervorzuheben. Und sie werde nicht müde, zu betonen, dass die 200 000 jüdischen Menschen, die im Land lebten, „vielfältig, facettenreich, lebendig und voller Schwung“ seien, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte.

Für Salomo dagegen fühlt sich jüdisches Leben in Deutschland wie in einem Aquarium an: „Ich erkenne die Entwicklung eines selbstbewussten jüdischen Lebens. Aber leider nur, weil es hinter Stacheldraht, hinter Schleusen, hinter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfindet. Würden wir das weglassen, wäre das so nicht möglich.“

Anfeindungen muss er schon als Kind erleiden: „Es gibt eine Menge Menschen in Deutschland, die sich von jüdischem Leben provoziert fühlen. Beispielsweise durch die Kippa oder den Davidsstern“, erzählt Salomo. „In Deutschland musst du nach jüdischen Feiertagen die Israelflagge einrollen, wenn du auf die Straße gehst. In Israel dagegen kannst du frei mit einer Deutschlandflagge am Strand rumlaufen. Alle wollen mit dir Fotos machen und schreien ‚Bayern München‘.“

Ben Salomo wird 1977 als Jonathan Kalmanovic in der Stadt Rechovot unweit von Tel Aviv, Israel, geboren. Die Familie seiner Mutter stammt aus der Ukraine, die seines Vaters aus Rumänien. Als er vier Jahre alt ist, zieht die Familie nach Berlin, wo die Großeltern mütterlicherseits leben. Bei seiner Bar Mitzwa erhält Jonathan den hebräischen Zunamen Ben Salomo, den er zu seinem Pseudonym macht. „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ – das ist der Titel seiner Autobiografie, die er 2019 veröffentlicht.

Antisemitismus im Hip-Hop

Der Mittvierziger stammt aus einer säkularen Familie. „Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht spirituell waren“, sagt er. In seiner Familie würden alle an Gott glauben. Vor etwa zehn Jahren habe er die Spiritualität mehr und mehr für sich und auch neu entdeckt. Als seine Frau zum Judentum übertrat, entschlossen sich die beiden, jüdische Traditionen und Brauchtum wieder stärker in ihr Leben zu integrieren.

Damals beginnt Salomo damit, seine jüdische Identität auch auf der Bühne zu leben und zu thematisieren. Seit Anfang der Neunzigerjahre ist er in verschiedenen Crews aktiv, zehn Jahre später gründet er sein eigenes Label: Tempeltainment. Das Debütalbum „Es gibt nur Einen“ erscheint 2016 und stößt Diskussionen an. Auf dem Cover zur Platte posiert Ben Salomo vor einem Davidsstern, bedeckt dabei sein Gesicht mit den Händen – ein Sinnbild dafür, wie problematisch es innerhalb der Deutschrap-Szene sei, sich zu bekennen. Es deutet sich ein Bruch an. 

Acht Jahre lang produziert und moderiert Salomo den „Rap am Mittwoch“, Deutschlands größte Live-Battle-Rapliga. Doch weil er Antisemitismus, Rassismus, Homophobie oder Frauenhass in seinen Texten immer wieder offen anspricht, sei er wiederholt bedroht und beleidigt worden, erzählt er. 2018 entscheidet er sich, der Szene den Rücken zu kehren: „Als ich Vater wurde, hat das meine Toleranzgrenze stark nach unten korrigiert. Mit jeder fehlenden Unterstützung, mit jeder fehlenden Solidarität wächst einem ein dickeres Fell – und irgendwann bist du dick eingepackt. Mit einem solchen emotionalen Schutzmantel fällt es dir aber schwerer, dich mit deinen eigenen Kindern zu verbinden.“

Die Klubs tauscht Salomo schließlich mit dem Klassenzimmer – und seit mittlerweile zwei Jahren arbeitet er mit der Friedrich-Naumann-Stiftung zusammen. „Mit Veröffentlichung meines Buches haben die mich zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Nach mehreren Veranstaltungen kam die Stiftung auf mich zu und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, auch an Schulen zu gehen und mit den Jugendlichen über Antisemitismus zu sprechen.“

Umgang hat sich verändert

Hat er den Schutzmantel inzwischen wieder ablegen können? „Es ist ziemlich verrückt. Ich beschäftige mich mit Antisemitismus heute viel fokussierter und viel mehr als vorher. Und wenn ich mich dazu artikuliere – wie damals in der Rapszene – schlägt mir nicht sofort Unverständnis entgegen. Heute gibt es viel mehr Menschen, die das, was ich anspreche, verstehen und zuhören. Ich gehe professionell an die Thematik heran. Und wenn ich rausgehe, ziehe ich den Schutzmantel an, lege ihn zu Hause aber wieder ab.“ 

Die Rückmeldungen zu seinen Workshops an den Schulen seien sehr positiv gewesen – vor allem vonseiten der Jugendlichen. 80 Veranstaltungen waren es alleine 2019. Und es sollten noch mehr werden, aber mit Ausbruch der Corona-Pandemie in Europa war das nicht mehr möglich. Momentan werden die Veranstaltungen deshalb digital fortgeführt.

Dass die Arbeit nichts an ihrer Relevanz eingebüßt hat, belegen diverse Studien zum Antisemitismus in Deutschland. 2020 zum Beispiel erfassten die Behörden laut dem Mediendienst Integration 2 351 antisemitische Straftaten – rund 16 Prozent mehr als im Vorjahr. 57 davon waren Gewalttaten. Ein Großteil der Delikte ging wie in den vergangenen Jahren auf Tatverdächtige aus dem rechten Milieu zurück. 

Doch Antisemitismus ist nicht nur am rechten Rand verankert. Die Mitte-Studie aus dem Jahr 2021 ergab etwa, dass antisemitische Einstellungen sich bei rund acht Prozent der Befragten finden lassen. „Den Leuten ist zum Teil gar nicht klar, dass sie antisemitische Gedanken haben. Sprüche, Redewendungen, Worte. Da braucht es Aufklärung“, meint Salomo. In der Politik und durch Schulbücher würden antisemitische Narrative verbreitet.

Einerseits werde Antisemitismus verurteilt, an anderer Stelle werde ihm der rote Teppich ausgerollt, kritisiert Salomo deutlich. „Deutschland hat sich ‚Nie wieder‘ auf die Fahnen geschrieben und damit auch eine Leuchtturmwirkung. Das behauptet auch das Gros der Menschen in der Politik – und an diesen Sprüchen messe ich sie.“

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