Text: Maike Schöfer — Foto: Benjamin Jenak
„Vorher hat es mir besser gefallen …“
„Du bist ja mutig! Ich könnte das nicht.“
„Bist du krank?“
„Zum Glück wachsen die wieder!“
Sätze, die mir an meinen kahlgeschorenen Schädel geworfen wurden. Und das sind nur die glattgekämmten. Die schlimmen, queerfeindlichen Beleidigungen oder auch das ungefragte Anfassen erspare ich euch.
Sobald mein kahler Kopf aus meiner Berlin-Bubble heraustritt, begegnen mir solche heftigen Reaktionen. Dabei trägt doch jeder zweite Christian oder Thomas diese Frisur. Bekommen die denn auch solche Reaktionen? Nein! Und schon sind wir beim Problem angekommen. Es geht um Schönheitsideale, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Antifeminismus.
Lange Haare gelten bei Frauen als Schönheitsideal. Eine Frau mit langen Haaren ist weiblich, sexy, begehrenswert. Haare als Sinnbild für Verführung.
Kleider machen Leute. Und Haare machen Frauen. Frauen ohne Haare? Ähhh …
Please note! Ich schreibe aus meiner weißen, europäischen „Langhaar“-Perspektive. Schwarze Frauen erleben rassistische Diskriminierungen aufgrund ihrer Haare. So hat zum Beispiel das Glätten von Afrohaaren oder auch das Tragen von Haarteilen mit der Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu tun.
Weiter im Text …
Wenn sich Frauen also die Haare abrasieren, dann haben sie entweder diesen einen Britney-Breakdown-Moment, sind eine „Hardcore-Lesbe“ (Was immer damit gemeint sein soll?! Ich bin nämlich auch Heart Core und gay) oder sie müssen es tun, weil ihnen krankheitsbedingt die Haare ausfallen. So interpretieren es zumindest viele Menschen in unserer Gesellschaft: von Klatschpresse, Instagram-Community bis hin zu Kids in der Grundschule.
Als ich mich in einer 1. Klasse als Religionslehrerin vorstellte, kam nach dem Unterricht ein Mädchen zu mir und meinte: „Ein paar Mädchen haben gesagt, du siehst hässlich aus, weil du keine Haare hast. Aber ich mag dich trotzdem, Frau Schöfer.“ „Ah, danke.“
Diese Narrative halten sich noch immer. Das merke ich daran, dass vor allem Frauen sagen, dass sie „das nicht könnten“ und es „echt Mut dafür braucht“. Weiteres Indiz: das jährliche Umstyling bei GNTM. Groß inszeniert und spannnungsreich wird diese Folge tränenreich aufgebauscht. Wie viel Haare die Kanditat*innen am Ende wohl wirklich lassen müssen!?
Für abrasierte Haare bei Frauen gibt es super viele Gründe. Oder auch gar keine. Es kann auch einfach nur ein Haarschnitt sein. Und ehrlich gesagt: None of Your Business, Karen!
Was viele Buzzcut-Frauen neben den negativen Erfahrungen jedoch genauso teilen, ist das befreiende Gefühl. Frei(er) zu sein von Normen und Idealen, die an Frauen herangetragen werden. So war es auch bei mir. Ich spüre den Wind der Selbstbestimmung auf meinem Kopf so viel deutlicher, als mit langer, glatter Mähne.
Mit Blick in den Spiegel stellt sich mir weniger eine Frage, es ist mehr eine Feststellung: Das bin ich – ohne gesellschaftliche Zuschreibungen, wie Frauen zu sein, auszusehen haben.
Und: Bin ich überhaupt eine Frau? Sounds a little bit like a Genderawakening …
Wie sehr mich all das formte und einengte, spürte ich erst nach dem Rasieren. Mit jeder Strähne fiel auch ein Stück patriarchale Kackscheiße von mir ab. Und wie: Mein Leben mit abrasierten Haaren fühlt sich freier und stärker an. Und, oh my God: I feel sexy, too.
Obwohl meine abrasierten Haare ja ständig kommentiert werden, werde ich auf der Straße dagegen tatsächlich weniger kommentiert. Sexistische Sprüche, anbaggernde DMs oder Hinterherpfeifen sind seltener geworden.
Und natürlich liegt es auf der Hand wieso: Ich gelte als weniger schön und als weniger fuckable. Ach du schon wieder, Patriarchat! Und dass ich im Gegensatz zu meinen Haaren auf dem Kopf, die Haare an meinem Körper wachsen lasse, katapultiert mich dann vollends straight out of cis hetero Normen. Ich trage quasi einen ObKuUnLa: oben kurz, unten lang.
Warum schreibe ich das?
Haare an Körpern von weiblich gelesenen Personen haben noch immer eine politische und gesellschaftliche Dimension, auch eine religiöse und eine gender Dimension. Es ist still eine Haltung entgegen der erdrückenden Schönheitsideale und -normen. I mean – ein Beispiel: Britney Spears rasierte sich 2007 ihre Haare in einem Friseursalon ab. Die Presse hat daraus einen psychischen Breakdown gemacht. Betitelt wurde ihr öffentliches Rasieren mit „das Ende“ oder „Absturz“. Kurze Zeit später wurde Britney Spears in eine Klinik eingewiesen und ihr Vater ging vor Gericht, um die Vormundschaft über seine Tochter zu erlangen.
In ihrer kürzlich erschienen Biografie schreibt sie erstmals selber darüber:
„Als ich aufwuchs, wurde ich so oft beäugt. Seit ich ein Teenager war, wurde ich von oben bis unten gemustert, und die Leute sagten mir, was sie von meinem Körper hielten. Das Rasieren meines Kopfes und mein Verhalten waren meine Art, mich zu wehren.“
Kein psychischer Breakdown. Auch kein Hilfeschrei. Vielmehr ein emanzipatorischer Akt. Ein Moment der Selbstbestimmung.
Noch ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist mir im Kopf geblieben: Die Schauspielerin Verena Altenberger stand im Theaterstück „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen 2021 mit kurzen Haaren auf der Bühne. Sie spielte die „Buhlschaft“. Und genau deswegen erlebte sie unzählige Anfeindungen in den sozialen Netzwerken.
Menschen, vor allem Menners, regten sich darüber auf, dass die „Buhlschaft“ nicht attraktiv genug sei, um wirklich eine hotte Buhlschaft zu sein. Krass, einfach mal gesellschaftlich die Weiblichkeit der Schauspielerin abgesprochen.
Das passiert übrigens genauso mit den Darstellungen von Jeanne d’Arc. Die französische Nationalheldin trug Männerkleidung und kurzes, schwarzes Haar, wie viele Männer zu dieser Zeit. Als ich den Sommer in Orleans verbrachte, fiel mir auf, dass Jeanne d’Arc am meisten mit langer, wehender Mähne dargestellt wird. Warum? Ich nehme an, damit sie besser als Frau erkannt werden soll?! Uff.
Das Scheren von Frauenhaaren diente in der Vergangenheit sogar als Bestrafung: Im 14. Jahrhundert etwa wurden untreue Frauen in Frankreich kahlgeschoren und mussten damit durch die Straßen laufen. Solche Akte der Demütigung reichten bis ins 20. Jahrhundert.
Auch die religiösen Dimensionen sind beim Thema Frauenhaare breit gefächert: intra- wie interreligiös. Häufig gilt das lange Haar bei Frauen als Weiblichkeitssymbol. Wegen dieser Weiblichkeit soll die Mähne aber gezähmt werden. Entweder geflochten oder bedeckt. Das gilt übrigens in besonderem Maße für verheiratete Frauen. Daher kommt nämlich auch das Sprichwort „unter die Haube kommen“.
Bei buddhistischen Nonnen ist es genau andersherum. Mit Eintritt ins Kloster rasieren sie sich die Haare. Es ist ein Symbol dafür, das sie ganz für ihren Glauben leben möchten und weltliche Eitelkeiten ablegen.
Und dass Frauen im Iran ihre Kopftücher verbrennen und sich ihre Haare abschneiden, ist ein körperpolitscher Widerstand gegen das Mullah-Regime. Ein lebensgefährlicher Akt der Selbstbestimmung: Frauen sollen selber bestimmen können, ob sie ihr Haar bedecken oder kurz abschneiden. Mehr noch: Frauen sollen selbstbestimmt und frei leben können.
Und nicht nur Frauen. Auch FLINTA* …
Sinead O’Connor, Vivien Westwood, Millie-Bobbie Brown, Kim de l’Horizon, Grace Jones – sie alle haben sich die Haare abrasiert! Und ich hab gehört, dass Grace Jones ihren ersten Orgasmus beim Abrasieren hatte? I tell u – ein Grund mehr!
In unserer Buzzcut-Gang ist noch Platz. Schmeiß den Rasierer an und los. Lass uns deine Haare und das Patriarchat rasieren. Buzzzzz!
Religionslehrerin und Pfarrerin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.