Kopfarbeit — Grand Beauty Salon

Wer schön sein will, muss erstmal gar nichts! Im Leipziger Grand Beauty Salon geht es nicht nur ums Aussehen. Hier wird gemeinsame Fürsorge und der Dialog zwischen verschiedenen Realitäten zelebriert.
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Text: Jasper von Römer — Foto: Stella Weiß

Hätte Astrid Lindgren ein Buch über einen Kosmetiksalon schreiben wollen, wäre der Grand Beauty Salon im Leipziger Stadtteil Grünau der ideale Drehort für dessen Verfilmung. Der Weg führt durch ein kleines Waldstück inmitten eines großen Parks, vorbei an einem Holzzaun, von dem die hellblaue Farbe abblättert. Versteckt steht ein kleines, weißes Haus mit dunkelgrünen Fensterläden, Ranken schlängeln sich an alten Mauern empor. Pippi-Langstrumpf-Romantik.

Im Erdgeschoss gibt es zwei große Räumen, die durch eine Flügeltür miteinander verbunden sind: ausgestattet mit einer Sofaecke, einem Tisch mit Tee und Snacks und vier Frisierstühlen, daneben Puderquasten, Lippenstifte und Schminkpinsel. Waschbecken gibt es ein Stockwerk weiter oben, außerdem zwei Sessel mit kleinem Tisch – ein gemütlicher Ort zum Verweilen.

Der Grand Beauty Salon bietet einen Raum, in dem sich Menschen begegnen, sich und ihrem Körper etwas Gutes tun können – und das alles kostenfrei. Gründerin Frauke Frech beschreibt es so: „Es ist ein Umfeld der sozialen und körperlichen Fürsorge, der Zuwendung und Pflege.“ Aber was heißt das genau? Jeden Freitagnachmittag öffnen sich für drei Stunden die Türen des Salons und sogenannte „Beauty Experts“ bieten ihre Fähigkeiten an: gelernte Frisierende zum Beispiel, Make-up-Artists oder Massierende. Und wer kann, spendet.

Leipzigs Beauty-Bullerbü unterscheidet sich allerdings in der Diversität seiner Figuren von den Geschichten der schwedischen Autorin. Die meisten der aktuell zehn „Beauty Experts“ haben Migrationsgeschichte, sie kommen aus unterschiedlichen Ländern des Globalen Südens und dürfen in Deutschland nicht arbeiten, weil sie nur eine Duldung haben. „Wir wollen Menschen ohne Arbeitserlaubnis die Möglichkeit bieten, ihren Berufen nachzugehen“, verdeutlicht Mara Hesse die Situation. Eine Friseurmeisterin beispielsweise, die 20 Jahre in Libyen gearbeitet habe, durfte die letzten fünf Jahre aufgrund der fehlenden Arbeitserlaubnis ihren Beruf nicht ausüben. Inzwischen sei sie als Minijobberin im Salon angestellt – ein Zustand, der wegen des langen Kampfes traurigerweise als riesiger Erfolg gefeiert werden müsse, sagt Hesse.

Mara Hesse hat den Grand Beauty Salon im August 2022 kennengelernt. Es sei eine Bekannte ihrer Mutter gewesen, die meinte: „‚Hey, das wäre doch bestimmt was für die Mara!‘ Dann bin ich hergekommen und ja, es war was für die Mara“, erzählt sie schmunzelnd. Hesse ist selbst Make-up-Artist und bildet als Dozentin an der Akademie Deutsche POP Berlin aus. Mit ihrem Online-Magazin Bossdom klärt sie außerdem über Fashion, Beauty und Lifestyle auf.

Am Salon schätze sie besonders die Verbindung aus Schönheitspflege, Selfcare und einem Ort, an dem Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Themen zusammenkommen. „Nehmen wir das Thema Kopftuch, das viele Menschen in Sachsen als eine Art Fremdkörper wahrnehmen. Für manche aber bin ich nach einer Behandlung hier im Salon kein Fremdkörper mehr, sondern sie verstehen, dass ich eine eigenständige Person bin – mit Kopftuch.“

Mehr als nur Haareschneiden

Um die 15 Menschen besuchen jede Woche den Grand Beauty Salon, unter ihnen viele ältere zwischen 60 und 80 Jahren aus Leipzig-Grünau, wobei der Männeranteil zuletzt angestiegen sei. Die andere große Gruppe der Besuchenden seien Mütter mit Kindern, die aus allen Teilen der Stadt kämen. Perspektivisch soll der Salon weiter ins Zentrum von Grünau umziehen. „Der Park fühlt sich gerade im Winter für Frauen unsicher an“, fasst Hesse zusammen. Außerdem fehle es hier auch an Sichtbarkeit und Barrierearmut.

Eine Altersgruppe aber fehle bis jetzt am Freitagnachmittag im Salon: Jugendliche. Gründerin Frauke Frech will das ändern – und setzt dabei auf Bildungsangebote: „Wir haben Workshops für Jugendliche konzipiert und bekommen auch immer wieder mal Anfragen von Schulen.“ Die Teilnehmenden der Workshops sollen damit konfrontiert werden, wie ihr Selbstwertgefühl mit ihrem Aussehen zusammenhängt und welche Rolle soziale Netzwerke bei all dem spielen.

„Wir sind ein transkultureller Raum“, beschreibt Mara Hesse und Frauke Frech ergänzt: „Ein transkultureller Salon für Schönes, Diversität und Dialog.“ Hier könne ein verständnisvoller und wertschätzender Umgang miteinander gelebt werden, der sonst im öffentlichen Raum so gut wie nicht vorkomme. Alle Menschen, die sich willkommen fühlen, seien es auch – egal, welche Ansichten sie mitbringen würden. „Wichtig ist, dass du bereit bist, diese zu überdenken und du dir Zeit nimmst, um darüber zu sprechen“, führt Mara Hesse aus.

Manche Leute kämen auch einfach, weil es einen Haarschnitt umsonst gibt und das sei auch gut so, finden beide. „Wo du nicht über wissenschaftliche Theorien philosophieren kannst, weil du keine gemeinsame Sprache hast, geht es um das Erleben. Du kannst hier so sein wie du willst, du hast eine gute Zeit und kriegst einen Tee hingestellt“, fasst Frech zusammen.

Frech erzählt, wie sie sich während ihres Kunststudiums das Massieren und Haareschneiden selbst beibrachte und das Erlernte schließlich anderen anbot. „In meiner künstlerischen Praxis habe ich mich gefragt, wie Räume kreiert werden können, in denen sich Menschen begegnen und etwas Intimes miteinander teilen, fernab von Sexualität.“ Als Gastkünstlerin kam Frech zu einem Projekt, das Menschen mit Fluchtgeschichte und Kunstschaffende zusammenbrachte. So lernte sie auch die vier anderen Menschen kennen, mit denen sie wenig später einen Pop-up-Beautysalon in einem Hotel aufbaute, wo Besuchenden mit und ohne Asyl Haare und Bärte geschnitten wurden. Es war letztlich der Startschuss für den Grand Beauty Salon.

Die ersten Jahre arbeitete die Gruppe ohne festen Standort, organisierte kurzweilige Aktionen und Veranstaltungen: ein Beauty Labour, einen Beauty Salon im Augsburger Jobcenter, eine Pop-up-Tour durch Sachsen und einen Workshop zu der Frage: „Welche Beziehung pflegst du zu dir selbst?“ Doch vom fünfköpfigen Gründungsteam geblieben ist nur Frauke Frech.

Erst im vergangenen Jahr mietete sich Frech mit ihrem Salon im Robert-Koch-Park ein, um mehr Kontinuität zu schaffen. Veranstaltungen blieben jedoch weiterhin ein fester Bestandteil der Arbeit, versichert sie und erzählt von einem geplanten Event in Berlin, das sie vorbereitet. Frauke Frech arbeitet als einzige auf Honorarbasis für das Projekt – 25 bis 30 Stunden in der Woche, um Aktionen zu planen, neue „Experts“ einzuarbeiten und die wöchentlichen Stunden im Salon vorzubereiten. Alle anderen sind entweder ehrenamtlich oder auf Minijobbasis dabei.

Wie äußere Veränderungen das Selbstwertgefühl beeinflussen können, erleben Frauke Frech und Mara Hesse jede Woche. Einmal sei eine Frau aufgetaucht, die den Haarschnitt einer Freundin bewunderte und daraufhin den Grand Beauty Salon empfohlen bekam. Sie hatte eine Chemotherapie hinter sich, fühlte sich unwohl mit ihrem dünnen Haarwuchs und trug deshalb meist einen Turban. Die Friseurmeisterin habe es geschafft, wieder eine voluminöse Frisur zu schaffen. „Sie ist hier rausgegangen und war wie verändert, weil sie sich beim Blick in den Spiegel mit ihren Haaren wieder wohlgefühlt hat. Und das durch zwei Stunden Salonbesuch“, erinnert sich Hesse mit Tränen in den Augen.

Überholte Schönheitsnormen

Schönheitsnormen würden im Salon eher dekonstruiert als reproduziert, so Frech. „Du kannst dir ein total herkömmliches Styling machen lassen und trotzdem wird neben dir jemand sitzen, der etwas ganz anderes möchte. Alles hat einen Platz.“ Es gehe ihr nicht darum, verschiedene Stile in ihrer Schönheit zu bewerten oder miteinander zu vergleichen. Frech will die Menschen darüber ins Gespräch bringen, was sie schön fühlen lässt. Auch die verschiedenen Techniken und Produkte der „Beauty Experts“ seien regelmäßig Gegenstand der Gespräche im Salon.

Vor kurzem sei zum Beispiel die Geschichte des Augenstifts Kajal Thema gewesen, die in Deutschland die wenigsten kennen würden. Der schwarze Lidstrich entstand in Indien und ist im arabisch-sprachigen Raum bis heute in seiner ursprünglichen Form weit verbreitet. „Er besteht eigentlich nur aus gemahlener Kohle, vermahlen mit Halbedelsteinen. Erst durch die westliche Beautyindustrie entstand durch weitere Zusatzstoffe jener Stift, den wir überall kaufen können“, weiß Hesse. Und in islamisch geprägten Teilen der Welt werde der Lidstrich ohnehin von allen Geschlechter getragen, unter anderem auch deshalb, weil die Inhaltsstoffe Augenentzündungen vorbeugen sollen.

„Durch unsere internationalen Backgrounds, die im Grand Beauty Salon aufeinandertreffen, wird auch der sogenannte westliche Schönheitsanspruch ein Stück weit revolutioniert.“ Frauke Frech veranschaulicht mit ihrem eigenen Auftreten, dass hier niemand bekehrt werden soll: „Ich hatte heute null Bock und Zeit, mich zu schminken und das ist völlig okay. Ein anderes mal wirst du mich hier geschminkt und fully dressed antreffen, und auch das ist in Ordnung.“

Die gesellschaftliche Mission des Salons geht aber noch weit darüber hinaus. Jeden letzten Freitag im Monat etwa wird zum Ladies Beauty Salon eingeladen. Was nach einer exklusiven, binären Veranstaltung klingt, ist in Wirklichkeit eine komplexe Aushandlung. So sollen Frauen mit Kopftuch die Möglichkeit haben, ihre Kopfbedeckung ablegen zu können. Und es sollen alle Menschen ihren Platz finden, die sich nicht als Männer identifizieren, erklärt Mara Hesse.

„Für viele muslimische Frauen, die noch nicht lange in westlichen Gesellschaften leben, gibt es für Themen rund um trans, inter und nicht-binäre Geschlechtsidentitäten noch kein breites Verständnis.“ Viele Frauen, die gerade einen Deutschkurs belegten, seien Analphabetinnen in ihrer Muttersprache. Von ihnen beispielsweise korrektes Gendern zu erwarten, ergebe wenig Sinn, verdeutlicht Frauke Frech. „Wir wollen aufklären, aber wir kämpfen auch gegen krasse Wissenshierarchien an. Deshalb brauchen wir Zeit und Beständigkeit für diesen Prozess.“

Neben den wöchentlichen Öffnungszeiten des Salons und Veranstaltungen, arbeiten Frauke Frech und Mara Hesse auch an einem Transfer. Die Idee dabei ist, Menschen dazu anzuregen, bei sich vor Ort neue Räume für Beauty und Begegnung zu öffnen. Dafür würde sich der viele Leerstand eignen oder die pensionierte Friseurmeisterin könnte genauso mit zugewanderten „Beauty Experts“ zusammenarbeiten. „Überall gibt es Menschen mit Beautyskills und überall gibt es Leerstand und alle müssen mal die Haare geschnitten bekommen“, beschreibt Frauke Frech. Auf die Frage, was denn für sie das Schönste am Grand Beauty Salon sei, antwortet Mara Hesse: „Wenn sich nicht nur auf, sondern auch in den Köpfen etwas ändert.“

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