Text: Tom Waurig — Fotos: Benjamin Jenak
Mit ganzem Körpereinsatz sperrt Ghaith Henki die schweren metallnen Türen des Containers auf. Seit mehreren Wochen schon steht der auffällige hellblaue Stahlkoloss in Franken, genauer in Hof – innenstadtnah, vor einer Schule. Nach wenigen geübten Handgriffen steht die komplette vordere Front des alten Containers offen. Wie eine Ziehharmonika klappen die Türen ineinander. Und das, was im Inneren steckt, würden wohl nur wenige erwarten: eine großzügig ausgestattete Küche.
Es scheint, als wäre an alles gedacht. Auf engstem Raum wurde jeder noch so kleine Spalt genutzt. Die Neugierde an dem Containerumbau lockt immer wieder neue Menschen an. Mit andächtigem Abstand versuchen vorbeischlendernde Grüppchen einen Blick zu erhaschen, um eine Idee davon zu bekommen, was damit passieren mag. Sie staunen, tuscheln und suchen nach Antworten.
Was sie schon von Weitem sehen, ist ein großes Regal, das an der hinteren Wand des Containers montiert wurde und über die ganze Breite reicht. Allerhand Geschirr, reichlich Schüsseln, Gefäße, verschieden große Töpfe und Pfannen sind dort verstaut – und jede Menge Gewürzgläser, die alle mit großen Klebezetteln beschriftet sind. Gleich davor steht ein Tresen mit Spüle, Kochfeldern und genügend Platz zum Schnippeln. Darüber eine Hängekonstruktion mit Schöpfkellen und anderen Kochuntensilien.
Das Interieur entstand komplett aus Holz, genauso die ausladende Terrasse. Vier Tische wurden darauf platziert – eingedeckt mit Schneidebrettern und großen, scharfen Messern. In einem Kleinbus werden die bunten Zutaten für den Abend herangekarrt: große grüne Bünde an Kräutern, Gemüse, Obst, verschiedene Sorten Fleisch und ein Packen Holzkohle für den Grill.
Einmal Europa und zurück
Die Vorbereitungen laufen an, das Programm ist recht straff. Gleich dreimal in der Woche lädt das Team von Kitchen on the run zum Kochen in den Container ein – „in heimeliger Atmosphäre“, wie es ihr Aufruf verspricht. Diese Abende verfolgen einen ganz bestimmten Gedanken. Denn neben den persönlichen Lieblingsgerichten geht es ums Zwischenmenschliche, ums Begegnen und um die Geschichten hinter dem Essen, vor allem aber ums Kennenlernen von Menschen mit und ohne Fluchterfahrung.
Deshalb sollen auch die Gäste möglichst verschieden sein – „Hälfte-Hälfte“ heißt die ideale Formel, auch wenn das nicht immer ganz genau so funktioniert. Für Gruppen jedenfalls sind diese Kochabende nicht unbedingt gedacht, weil die Menschen sich untereinander schon kennen würden, erklärt Ghaith Henki. Und so hätten diese auch weniger Interesse an neuen Menschen.
Vor gut drei Jahren ging das Team von Kitchen on the run mit ihrem mobilen Container das erste mal auf Reisen. Ihre mehrmonatige Tour quer durch Europa führte sie nach Frankreich, Schweden, Deutschland, Italien und die Niederlande. Auch Ghaith Henki hätte 2016 mitfahren können, entschied sich aber am Ende dagegen. Er habe sich damals nicht wirklich vorstellen können, fasst er zusammen, wie eine so lange Reise durch mehrere Länder funktionieren solle. Mittlerweile sieht er das jedoch ein wenig anders: „Es ist schade, dass ich nicht mitgemacht habe.“
Nach den ersten Erfahrungen mit dem Container tourte die neue Küchencrew in den darauffolgenden Jahren durch Deutschland und machte vor allem in kleineren Städten Station. Mehr als einhundert Kochabende kamen so bis heute zusammen. Und es kommen beinahe täglich mehr dazu.
Küche im Schiffscontainer
Für das Team von Kitchen on the run hat ihr stählerner Container auch symbolischen Wert, sagen sie: „Während Waren über Grenzen hinweg verschifft werden können, ist es für viele Menschen oft unmöglich, sich nach und innerhalb Europas legal und frei zu bewegen.“ Die Idee zum Umbau des ausrangierten Transportstücks stammt von Rabea Haß und Jule Schröder – zwei Freundinnen, die eigentlich mit einer Containerbar um die Welt reisen wollten. Doch 2015 bewarben sich die beiden mit einem leicht abgewandelten Konzept erfolgreich bei einem europäischen Wettbewerb.
An ihrer Seite stand damals der Berliner Verein „Über den Tellerrand“, der nicht nur das Projekt Kitchen on the run verantwortet, sondern schon 2013 damit begonnen hatte, mit geflüchteten Menschen zu kochen, um „einen Austausch auf Augenhöhe und zwischen den Kulturen zu ermöglichen“.
In die Tat umgesetzt wurde das Konzept der mobilen Küche an der Technischen Universität Berlin. Auch Ghaith Henki, der 2015 nach Deutschland kam, fand so zum Projekt. Seine syrische Heimat musste er wegen des Krieges verlassen.
Was einst mit friedlichen Demonstrationen während des Arabischen Frühlings begann, endete in einem blutigen Kampf. Und obwohl die Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Land weiträumig zurückgedrängt worden ist, sind viele Städte weiträumig zerstört. Seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzung vor gut acht Jahren mussten deshalb Hunderttausende Menschen aus Syrien fliehen, Hunderttausende kamen ums Leben. Seine Eltern sind geblieben, zu ihnen hält er Kontakt.
Eine zufällige Begegnung
Ghaith Henki habe nach seiner langen Flucht aus Syrien versucht, schnell Anschluss zu finden. Er wollte nicht alleine in seinem Zimmer sitzen und nur abwarten, „ich wollte Deutsche treffen“. Das sei in einer so großen Stadt wie Berlin recht einfach gewesen, meint er. Schon nach zwei Wochen wurde er fündig.
An der TU Berlin schrieb er sich für eine Sommerschule ein. Dass es im weitesten Sinne ums Kochen ging, wurde ihm erst bewusst, als er dort ankam. So schlug er sich anfangs noch ohne viele Sprachkenntnisse durch. Ghaith Henki studierte in Syrien Architektur – mit Plänen und Skizzen kennt er sich aus. Zusammen mit einem Dutzend anderer Studierender füllte er die Idee der mobilen Küche mit Leben, baute Stühle, Tische oder Regale, um am Ende alles in den Schiffscontainer zu setzen. Nicht länger als zwei Monate habe der Umbau gedauert, sagt er.
Weil die Chemie stimmte, blieb er dabei. Das Kochen hat er sich selbst beigebracht und viel von seiner Mutter gelernt. Heute gibt er Kurse zu orientalischem Essen und betreut die Kochabende auf der diesjährigen Deutschlandtour. Los ging es im Frühjahr in Berlin. Nach der Station in Hof geht es nun für die nächsten sieben Wochen ins thüringische Schmalkalden – und danach in den hohen Norden nach Rendsburg, eine 28 000-Seelen-Gemeinde, gelegen am Nord-Ostsee-Kanal.
Die Teilnahme an der Tour wurde ausgeschrieben. 38 Städte hatten sich beworben, doch nur drei wurden am Ende ausgewählt. „Wir haben uns alle Bewerbungen sehr genau angeschaut und am Ende gemeinschaftlich entschieden, welche Städte am besten zu unserer Idee passen.“ Per LWK kommt der Kochcontainer an seinen Standort, bewegen lässt er sich dort nur mit einem Kran.
Was isst du am liebsten?
Franziska Kaiser, Integrationslotsin bei der Diakonie, hat den Container nach Hof geholt. „Ich fand das Projekt ziemlich geil“, sagt sie. Erfahren hat sie davon über einen E-Mail-Verteiler. Sie selbst organisierte in den letzten Jahren zig Veranstaltungen und hoffte mit dem Container auf ein neues Format und auf neue Gesichter.
Bei den Kochabenden habe sie nun viele Menschen getroffen, die bisher noch wenig Erfahrung in der Arbeit mit Geflüchteten hätten. „Das Kennenlernen funktioniert ganz automatisch – da ist nichts gekünstelt.“ Dem Team von Kitchen on the run stellt sie sogar ihr Haus zur Verfügung, als Büro und Unterkunft. Negative Stimmen gab es bislang nicht, sagt Kaiser. Ohnehin sei es in Hof eher ruhig, auch wenn sie auch hier die Ablehnung spürt, vor allem im Netz. „Ich habe aber nicht das Gefühl, das hier morgen der nächste Nazi-Aufmarsch stattfindet.“
Auch an diesem Abend in Hof ist von Vorurteilen tatsächlich nichts zu spüren. Die Anmeldungen für das gemeinsame Kochen laufen über ein Formular auf dem Internetauftritt von Kitchen on the run. Dort geben Interessierte an, welche Rolle sie einnehmen wollen – ob sie als Gastgebende auftreten möchten, „um anderen dein Lieblingsrezept zu zeigen“, oder lieber als Gast, „wenn du neue Gerichte kennenlernen möchtest“. Abgefragt werden Name, E-Mail, Herkunft und natürlich das gewünschte Datum. Auch Allergien und den Wunsch nach vegetarischem Essen erfasst das Formular. Die Deutschen würden sich damit leichter tun, scherzt Ghaith Henki.
Die Geflüchteten seien da deutlich spontaner, erzählt er. So ein Anmeldeprozedere mit genau festgelegten Zeiten sei eben doch typisch deutsch, lacht er. In Hof aber waren die Abende schnell ausgebucht.
Skeptisch aber neugierig
In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft gehe es immer erstmal darum, erzählt Ghaith Henki, für die Idee der Abende zu werben – in Volkshochschulen zum Beispiel, in Geflüchtetenunterkünften oder ganz klassisch in den Einkaufspassagen.
In Franken bekam das Team dabei Hilfe von arabischen Restaurants, türkischen Supermärkten oder von Bio-Läden, die ihnen Lebensmittel überließen. „Am Anfang ist es nicht immer ganz so einfach, weil niemand weiß, was passiert.“ Doch die Idee von Kitchen on the run spreche sich schnell rum in einer kleinen Stadt wie Hof.
Nach einer Woche schon wurden sie sogar auf der Straße erkannt, so Ghaith Henki. Gleichzeitig gebe es auch jene, die mit Skepsis auf das Projekt schauen würde. „Oft ist es aber eine Mischung aus kritisch und neugierig. Sie wollen wissen, woher das Geld für das Projekt kommt oder was wir erreicht haben.“
Mehr als 20 Interessierte haben sich von der Idee anlocken lassen, einen Abend lang zu kochen, miteinander zu sprechen, zu essen, gemeinsam zu spülen. In Hof ist es das vorerst letzte Event. Bevor sich alle auf die Zutaten stürzen, stellen sie sich in einem großen Kreis vor dem Container auf. Alle tragen Schürzen, auf der Brust klebt ein Stück Klebeband mit Namenssignum. Es geht weniger ums Kochen, sondern vielmehr ums Kennenlernen und die Begegnung. Das funktioniert dann am besten, wenn alle etwas mehr voneinander wissen. Also sagen alle ihren Namen, woher sie kommen und was sie am liebsten essen – heute Abend sind das Sushi, Taboulé, Spätzle und Pizza. Danach wird die mobile Küche inspiziert und Regeln festgelegt. Auch einen Feuerlöscher gibt es an Bord – für alle Fälle. Noch einmal alle Hände waschen und es kann losgehen.
Schneiden, hacken, rühren
Es gibt Reis mit Hackfleisch, Erbsen und Nüssen. Außerdem mariniertes, gegrilltes Hähnchenfilet mit Taboulé – ein traditioneller Salat aus der syrischen Küche mit Bulgur, allerlei Gemüse, frischer Petersilie und Minze. Auch ein Dessert steht an diesem Abend natürlich auf der Speisekarte – Erdbeer-Tiramisu mit Basilikum.
Damit bei der Zubereitung dieses Drei-Gang-Menüs auch möglichst wenig schief geht, erklären die Gastgebenden ihren Gästen, wie sie sich das Gericht vorstellen und was es zu tun gibt: Salat schneiden, Reis kochen, Karotten schälen, Mascarpone verrühren, Petersilie hacken, Zitronenschale abreiben und das Fleisch auf lange Spieße stecken. Auch der Grill wird angefeuert, eine große Flamme steigt durch das metallne Gitter nach oben. Auf dem Platz vor dem Container riecht es nach Gegrilltem, es durftet nach frischen Kräutern und orientalischen Gewürzen.
Die Stimmung ähnelt der in einer Großküche, nur etwas weniger hektisch geht es zu. An den vier Tischen auf der Containerterrasse wird viel geschnitten, gehackt, gerührt, aber genauso viel gesprochen. Deutsche und arabische Vokabeln mischen sich immer wieder durcheinander. Das Team hält sich im Hintergrund.
Ghaith Henki schaut, dass alles läuft und hilft ab und zu auch mit. „Sie müssen sich selbst organisieren. Es ist ihre Aufgabe, fleißig Aufgaben zu verteilen und Dinge zu erklären – zur Not auch mit Händen und Füßen.“ Er ist so etwas wie der Joker, wenn es bei der Verständigung hakt. Drei Sprachen spricht er mittlerweile: Deutsch, Englisch, Arabisch. Mit seinem Humor und seiner Begeisterung reißt er die anderen mit. Und damit sich alle dem Kochen widmen können, hat das Team auch für eine Kinderbetreuung gesorgt, die die Kleinen nebenan bespaßt.
Deutschland kennenlernen
Und einmal in der Woche treffen sich all jene, die gewillt sind, die Idee des gemeinsamen Kochens auch ohne den markigen Container fortzuführen, den sie in Hof aber am liebsten behalten würden. Ein Dutzend Menschen haben sich zusammengetan und wollen diese Kochabende auch weiterhin anbieten. Zumindest eine Location haben sie schon gefunden, erzählt Ghaith Henki. Ein Haus der evangelischen Jugend soll ihre neue Sammelstätte werden – denn eine Küche gibt es dort schon.
Kitchen on the run will mit ihren gemütlichen Abenden den Anstoß für ein gelebtes Miteinander in der Stadt geben und „an allen Standorten eine aktive Community hinterlassen, die nach unserer Abreise Begegnungsveranstaltungen organisiert“. Um die Idee noch weiter zu streuen, gehört nun auch ein Küchenanhänger auf zwei Rädern zur Flotte, der auch für kürzere Einsätze gerüstet ist.
Ghaith Henki freut sich über den großen Zuspruch. Er fühlt sich wohl in Deutschland, schätzt vor allem das Leben in Berlin – und das trotz der AfD oder Menschen, die gegen Geflüchtete auf die Straße gehen oder ihre Ablehnung im Netz verbreiten. „Es gibt überall schlimme Leute“, meint er. Anfeindungen habe er selbst kaum erlebt, anfangs aber auch gar nicht alles verstanden, was die Menschen auf der Straße zu ihm gesagt haben. „Wenn du freundlich mit allen umgehst, dann tun sie es auch mit dir“, diese Erfahrung hat er gemacht. Und er will sie mit anderen teilen – weit weg von Berlin.
Durch die Kochabende möchte er Deutschland noch besser kennenlernen, das Leben in den kleineren Städten verstehen. Einen gravierenden Unterschied spürt er bislang nur an den Wochenenden. Dann findet er nämlich keinen Späti wie in Berlin, dann hat „nur die Tanke offen“.
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