Text: Selmar Schülein — Fotos: Julius Matuschik
Eine Frau steht aus dem Bett auf. Sie ist umzingelt von Hologrammen und Geräuschen. Informationsflirren, Nachrichtengewitter. Eine gewachsene Umwelt scheint hier nicht mehr zu existieren. Stattdessen ein Leben in sterilen Räumlichkeiten, teilweise unter Wasser. Eine Lebensweise, die in dieser Welt ausnahmslos als zivilisatorischer Fortschritt gepriesen wird.
Doch die Frau erfährt durch ihre Arbeit als Historikerin von früheren Gesellschaften mit Zugang zu Wäldern und weiten Naturräumen – und von dem Naturkollaps, der von den Ideologien ihrer Jetztzeit ins Gegenteil verkehrt wird. So wird gelehrt, wie sich die früheren Menschen einst von der Umwelt abhängig gemacht hätten und damit fast vor die Hunde gegangen seien. Fasziniert von dieser untergegangenen Kultur mit direktem Pflanzenkontakt sucht die Frau in Antiquariaten nach Artefakten jener Zeit und findet ein Samenpäckchen …
Nilgün Akıncıs Kurzfilm ÆDEN entwirft eine Szenerie, die auf den ersten Blick wenig mit dem Islam zu tun hat, obwohl genau das der Ankerpunkt der muslimischen Filmemacherin ist. Das Drehbuch liest sich wie feinste Science-Fiction, der Film ist derzeit in Produktion. Ihr erster Langfilm ist es noch nicht, obwohl Akıncı immer und immer wieder zu hören bekam, dass dieser Stoff in den USA große Produktionsmittel einfahren könnte. Doch diese Option reizt die in Berlin lebende Filmemacherin kaum. Genau hier beginnt Akıncıs Geschichte – ein ebenso faszinierender wie oft auch frustrierender Weg hin zu einem anderen Kino aus Deutschland.
In der achten Klasse hatte sie im Unterricht offen ausgesprochen, dass sie gerne mal Regie studieren würde. Alle hatten damals losgelacht, inklusive Lehrer, erzählt sie. Die junge Nilgün trug da noch Kopftuch und musste erfahren, was es heißt, einem Bild nicht zu entsprechen. Heute entwirft sie darum selbst ganz andere Bilder. Sie sind vom Koran inspiriert und dabei zugleich dezidiert ökofeministisch. Ein Zusammenprall zweier Welten, der fast schon satirisch klingen mag. Dass Akıncı diese mühsame künstlerische Arbeit überhaupt vorantreibt, hängt aufs Engste mit Erfahrungen von Nicht-Zugehörigkeit zusammen, die sie selbst machen musste. Als deutsche Staatsbürgerin, die allzu oft wie ein Alien behandelt wurde.
Stereotypen-Schubladen
Jede Gesellschaft kultiviert Konstrukte von Gruppen, die sie in Form von verallgemeinernden Bildern und immer wieder erzählten Geschichten als „die Anderen“ rahmt. Auf diese Art übt die vermeintliche Mehrheitsgesellschaft eine Deutungshoheit aus. Dabei handelt es sich um mehr fiktive als faktisch begründete Rahmungen, die aber als kognitive Frames wirkmächtig alltägliche Wahrnehmungen prägen. Individuen, die oft nichts mit den ihnen zugeschriebenen Gruppenmerkmalen zu tun haben, werden so zu „exotischen“ Außerirdischen im eigenen Land. Das Problem: Meist fußen Ungleichbehandlung und Diskriminierung auf dieser teils bewussten, teils unbewussten Maschinerie der Fremd-Machung.
Die Geschichte dieses Phänomens ist als „Othering“ seit Jahrzehnten solide beforscht, was es allerdings nicht davon abhält, weiter in gesellschaftspolitischen Debatten und medialen Repräsentationsmustern herumzuspuken und so alltägliche Wahrnehmungsmuster zu formen. Simone de Beauvoir legte bereits früh dar, wie Frauen als „das Andere“ vor dem Hintergrund der männlichen Norm konstruiert werden. Der postkoloniale Kulturtheoretiker Edward Said skizzierte ab den späten Achtzigern imperialistische Muster, die aus der Konstruktion des sogenannten „Orients“ erwachsen, in der stets eine europäische Überlegenheit mitschwingt. Gayatri Chakravorty Spivak schließlich entwickelte die Theorien des Othering maßgeblich weiter und wies das Phänomen in den Tagebüchern britischer Kolonialherren nach.
Kaum eine kulturelle Sphäre im Land hat mit dieser Form der wortwörtlichen Ausgrenzung so zu kämpfen wie Menschen, die sich als dem Islam zugehörig bekennen. Dabei ist der Islam in Deutschland nach dem Christentum die Religion mit den meisten Gläubigen. Und taucht im Grundgesetz das Wort „Gott“ auf, spiegeln sich darin Werte, die auch muslimische Menschen teilen. Damit ist der Koran in der religionsneutralen Nennung „Gottes“ in der Verfassung enthalten. Als Teil der abrahamitischen Religionen gehört er zu Deutschland – als fester Bestandteil der kulturellen Verflechtungen, die dieses Land erst ausmachen.
Doch auch in der Qualitätspresse finden sich immer wieder einseitige Illustrationen und stetig reproduzierte Narrative von muslimischem Leben in Deutschland, die weit davon entfernt sind, die tatsächliche Mannigfaltigkeit abzubilden, die längst in Studien nachgewiesen wurde. Prominent etwa schon vor über zehn Jahren im großen Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Anhand weniger äußerer Merkmale werden künstlich Gruppengrenzen gezogen, Stereotypen-Schubladen fein säuberlich beschriftet und Menschen nach diesen Boxen etikettiert, dabei gäbe es ein weitaus größeres Bild des heimischen Islam zu zeigen.
Den dritten Raum bauen
Um diese ausgeklammerten Wirklichkeitsausschnitte sichtbar, ja überhaupt erst erzählbar zu machen, wendet Akıncı einen künstlerischen Kniff an: Sie entwirft Bilder und Geschichten einer muslimisch inspirierten, pluralen Alltagskultur in Form von Science-Fiction-Filmen. Diese Strategie ist nicht gänzlich neu, sondern baut auf dem vom Afrofuturismus geebneten Weg auf. Der Grundgedanke: Sind Identitäten derart durch den einengenden Blick einer sich selbst als Mehrheitsgesellschaft definierenden Teilgruppe festgelegt, eröffnen Kunstschaffende wie Nilgün Akıncı in filmischen Zukunftsvisionen einen dritten Raum, um sich dort frei von diesen machtvollen Einengungen erzählen zu können.
Dabei ist ausgerechnet das Kino diejenige Kunstform, die in eurozentristischen Science-Fiction-Welten oft eine orientalisierte Ästhetik verbreitet hat, wenn sie von muslimischer Kultur erzählt. Der Westen hat hier jahrzehntelang in bildgewaltigen Blockbustern zementiert, wie muslimische Gemeinschaften aussehen und leben. Insofern sind muslimische Futurismen, wie sie Akıncı in dem losen siebenköpfigen Projekt „Muslim Futures“ entwirft, ein durchaus radikaler Schritt: es geht um die Rückgewinnung des Narrativs, das die eigene Identität dominiert. In solchen Erzählungen sind Erfahrungen muslimischer Figuren dann mehr als der kitschige Dekor geheimnisvoller Wüstenlandschaften.
Ähnlich wie auch die Geschichtsschreibung – jahrzehntelang das mehrheitlich männliche Unterfangen einer „His-Story“ – seit einiger Zeit daran arbeitet, die verschüttete „Her-Story“ als Korrektur und Gegengeschichte zur patriarchal-verkürzten Erzählung von Vergangenheit auszugraben, treiben die zu „Aliens“ erklärten muslimischen Kunstschaffenden ihre eigenen Erzählungen voran. Weil es jedoch nicht ausreicht, das schiefe Bild von muslimischem Leben immer nur zu korrigieren, Vorurteilen immer nur empirische Fakten zu entgegnen, sich also immer nur in Abgrenzung zu bereits bestehenden Narrativen definieren zu können, fasziniert die Idee des dritten Raums: Wenn die Realität die Wahrnehmung von muslimischem Leben so sehr einengt, dass sie sich gegen die dominanten Narrative kaum sichtbar machen kann, kommt das Instrument der Fiktion zum Einsatz.
In Filmen und Romanen soll ein Möglichkeitshorizont aufgespannt werden, um muslimische Gemeinschaften, Figuren und Lebensrealitäten in voller Ausführlichkeit zu zeigen und in eine Zukunft hinein zu imaginieren. Darin liegt der Versuch, sich von den dominanten Erzählungen zu emanzipieren. „Wie könnte ein paralleles Universum aussehen?“, fragt Nilgün Akıncı.
Ökofeministische Lesart
Das Musikvideo „Alhamdu“ der internationalen Subkultur-Bewegung von „Muslim Hipsters“ – auch bekannt als #Mipsterz – wagt einen visuellen Versuch: Es zeigt leuchtende Farben und selbstbewusste junge Menschen, die ihre Vision einer muslimischen Zukunft unbeirrt leben. In den Visionen von Akıncı liegt der thematische Schwerpunkt auch auf einer ökofeministischen Lesart des Koran: „Was wäre, wenn wir anwenden würden, was im Koran als Umgang mit uns selbst und mit der Umwelt nahegelegt wird? Muslimische Menschen müssten dann eigentlich grünen Aktivismus betreiben.“ Aus diesem Grund hat die Filmemacherin ihre Videoinstallation „Madinah“ („Stadt“ auf Arabisch) getauft: „Im Koran werden wir aufgefordert, Stadthaltende der Welt zu sein. Dieser Job ist es, der uns von Tieren und Engeln unterscheidet, diese Verantwortung, die der Mensch naiv angenommen hat.“
Akıncı stellt sich ausgehend davon vor, wie muslimische Menschen dereinst im Jenseits gefragt werden könnten: „Und, wie hast du Pflanzen, Tiere und Menschen behandelt? Und, wie hast du das Ozonloch geflickt?“ Spannend an dem Wort „Madina“ sei auch, dass es von „din“ (Gericht oder im übertragenen Sinn Gerechtigkeit) kommt. Insofern sei eine Stadt eigentlich angewandte, Ort gewordene Gerechtigkeit, ein Raum, wo Mensch und Natur nicht ausgebeutet werden. Die Berlinerin übersetzt diese ökofeministische Koran-Lektüre unmittelbar in konkrete Szenarien wie das Ausbilden von Permakultur im urbanen Raum.
Nilgün Akıncı werde noch immer oft als türkisch gelesen, sagt sie. Ein Blick, den die deutsche Staatsbürgerin bereits in früher Kindheit erfahren musste. Damals hatte sie im Fernsehen eine Ballerina gesehen und ihre Mutter daraufhin angebettelt, Ballettunterricht nehmen zu dürfen. Bei der Probestunde in Köln gab es dann diese Übung, an die Nilgün Akıncı heute noch sehr lebhafte Erinnerungen hat: „Mit beiden Armen so tun, als müssten wir einen schweren Koffer schleppen. Währenddessen dachte ich, ich sei im Himmel.“ Wiederkommen durfte sie damals dennoch nicht, weil ihre Mutter ein Kopftuch trug. Sie als Muslima würde ihrer Tochter ja mit 13 Jahren ein Kopftuch aufsetzen und dann müsste sie die Kleine aus dem Kurs nehmen. Die Unterrichtungsbemühungen seien damit also umsonst, lauteten die Vorbehalte.
Online-Gaming in Vollzeit
Später hatte Akıncı dann aus freien Stücken begonnen, Kopftuch zu tragen – ausgerechnet einen Monat vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001. „Ich musste in der Folge sechs Jahre ungewollt als Pressesprecherin des Islams herhalten“, erzählt sie rückblickend. Und auch, welchen Umschwung im Umgang mit ihr sie als ebenso problematisch erfahren hat, als sie das Kopftuch dann wieder abnahm: „Sobald ich es abgelegt hatte, waren plötzlich alle so nett, Lehrkräfte wie Gleichaltrige. Und ich dachte mir: Leute, ich hätte Euch damals gebraucht! Bin ich erst dann interessant, wenn ich mich euch ähnlich mache?“
Zeitgleich kritisierten ihre Eltern ihre unkonventionelle Art, die sie ihr selbst vorlebten: „Mein Vater sagte immer: ‚Sollen doch die Jungs Kopftuch tragen.‘ Er war damals Agnostiker.“ Von einer Freundin hörte Nilgün Akıncı später: „Krass, du bist der erste muslimische Punk, den ich gesehen habe.“ Auch mit dieser Identität spielte die Teenagerin also, die damals beobachtete: „Es gibt da dieses Fernsehen, aber das ist nicht für mich gemacht. Wir kommen da nicht vor.“
Es braute sich intersektional betrachtet also Einiges zusammen an strukturellen Hürden auf dem Karriereweg der Filmemacherin. Zuletzt hatte sie Aspekte davon wieder auf der Berlinale 2023 erleben müssen. „Wenn Menschen wie ich Kunst machen wollen, dann kommen immer Fragen, die sich auf die Herkunft beziehen.“ Dabei tritt Akıncı regelmäßig als Regisseurin in Erscheinung, war Co-Autorin großer Film- und Serienproduktionen der öffentlich-rechtlichen Programme, hat mit dem Funk-Format „Karakaya Talk“ 2020 sogar den renommierten Grimme Online Award erhalten. Doch noch immer müsse Akıncı sich in diesen herausgehobenen Positionen am Filmset rechtfertigen, erzählt sie: „Führungsqualitäten werden bei weißen Männern gar nicht hinterfragt, sondern fast erwartet. Ich dagegen werde bei der Ankunft am Set gar nicht bemerkt. Da denken die Leute eher, die macht bestimmt Hair and Make-up.“
Wenn Nilgün Akıncı von solchen Erlebnissen spricht, erinnert sie sich an die zwei Jahre ihres Lebens, in denen sie „Vollzeit World of Warcraft gespielt“ habe, wie sie augenzwinkernd sagt. „Ich konnte bei WoW gut verstecken, wer ich wirklich war. Du kannst dich als alles Mögliche ausgeben; ich mich damals als Einen aus der Mehrheit. Im Chat habe ich die Sprache von ihnen benutzt. Wenn wir aber ins Teamspeak wechselten, hat sich sofort der Ton geändert.“ Die Reaktionen seien meistens voller Irritation gewesen: „Hä, du bist ja ein Mädchen!“
Koran regelt Care-Arbeit
Sie habe damals einen Eindruck davon erhaschen können, wie frei von Zuschreibungen der Mehrheitsmann im Internet auftreten könne: „Diese Freiheit war unbeschreiblich. Räume, wo ich einfach mal weißer Mann spielen kann, sind Felder, wo Menschen wie ich herausfinden können, was es eigentlich bedeutet, strukturell privilegiert zu sein.“
Als Muslimin in Deutschland aufzuwachsen sei dagegen „so semicool“ gewesen, weil es schlicht so wenige Vorbilder gegeben habe. Erst recht im Filmbusiness: Der Zugang zu einer Filmhochschule ist Nilgün Akıncı trotz zahlreicher Bewerbungsversuche verwehrt geblieben, was sie mit Blick auf die wenigen finanzkräftig produzierten Filme mit migrantischen oder auch muslimischen Perspektiven nicht wirklich verwundert: „Es ist so schwer, Menschen in Entscheidungspositionen Geschichten schmackhaft zu machen, die nicht schon zum 97. Mal erzählt wurden.“ Sie bemängelt, dass zahlreiche Förderungen für Filme türkisch gelesener Menschen Integrationsromanzen oder Kultur-Clash-Klamauk bevorzugen, statt ambitionierte Auseinandersetzungen mit den schwergewichtigen Themen.
„Kaum ein Film mit großen Fördergeldern nähert sich Hanau oder Solingen, wenige streifen neuerdings höchstens mal Polizeigewalt“, bemerkt Nilgün Akıncı. „Dagegen wird immer noch Jungfräulichkeit behandelt, als drehe sich unter muslimischen Menschen alles nur darum. Oder um Ehrenmorde.“ Die No-Budget-Filme junger Menschen würden sich dagegen einer beeindruckenden Themenvielfalt annehmen.
Auch in der Community rufen Akıncıs Zugänge zum Koran teils Irritationen hervor, wobei sie nicht von starkem Gegenwind sprechen möchte. Doch die „Haram-Polizei“ schlafe nie. Die Filmemacherin nimmt sogar Koranunterricht bei einer feministisch orientierten Theologin und weiß: „Die meisten Menschen lesen den Koran einfach nicht.“ Wer sich dann ernsthaft damit auseinandersetzt, stelle fest: „Sogar Care-Themen sind im Koran explizit angesprochen. So hat eine stillende Frau Recht auf Unterhalt.“ In der Alltagswirklichkeit würden sich muslimische Frauen dagegen in der Sorgearbeit ausbeuten lassen, weil sie dem Irrtum erliegen, dass dies die Position ist, die Allah ihnen gegeben habe: „Sie beugen sich einem Patriarchat, das oft mehr auf männlicher Deutungsmacht als auf der religiösen Schrift selbst fußt.“
Ist das denn auch halāl?
Eindrucksvoll hat Nilgün Akıncı diesen Aspekt erfahren, als sie erstmals die Figur der Maryam – die Maria im Christentum – studierte: „Ich fand diese Holy Frau immer todeslangweilig. Und plötzlich wurde sie dann unfassbar spannend. Sie ist aktiv, tritt fast als Revolutionärin auf. Der Koran beschreibt detailliert ihr Leben, eigenständige Entscheidungen, Herausforderungen.“ Letztlich bringe die genaue Koran-Lektüre die Lesart hervor, dass Maryam das Patriarchat herausfordere: „Auf heute übertragen ließe sich das mit den Protesten gegen die iranische Regierung, die absolute Willkür walten lässt, in Verbindung bringen.“
Wer aus der Geschichte der Maryam im Koran etwas für die eigene Lebenswelt ziehen wolle, könne ohne große Interpretationsverrenkungen einen Imperativ für Aktivismus ableiten: „Wir sollen nicht einfach in unserem Zimmer sitzen und das alles aushalten“, fasst Nilgün Akıncı kurz zusammen, „sondern gegen unterdrückende Strukturen aufstehen.“ Sie und ihre vielen Mitstreitenden, die sich der künstlerischen Arbeit an „Muslim Futures“ verschrieben haben, versuchen, dieses Aufstehen ein Stück weit mit dem Zeichnen neuer Bilder zu betreiben: „Im Kapitalismus wird uns so viel Schrott angedreht. Uns wird suggeriert, das sei gut für unsere Glücksvermehrung. Dabei macht es uns kaputt.“
Die Filmemacherin stellt die Frage, ob das eigentlich als „halāl“ bezeichnet werden dürfe. Sie dehnt damit den vielfach missverstandenen Begriff weit über die Sphäre des landläufigen Anwendungsbereich aus. Es geht dann nicht um strenge Essenvorschriften, sondern um eine ehrliche Beantwortung der Frage, welche Konsum- und Handlungswiesen einer Gesellschaft als „rein“ bezeichnet werden dürfen: „Ist es in Ordnung, etwas, das aus Massentierhaltung stammt, halāl zu nennen? Ist es halāl, in Ländern mit extremer Billigproduktion Kleidung herzustellen? Wie könnte stattdessen ein paralleles Universum aussehen, das halāl ist?“
Inspiration findet die Filmemacherin in einem simplen Sinnspruch eines Propheten aus dem Koran, der sinngemäß laute: „Pflanze einen Baum, auch wenn es zu spät scheint.“ Und wie sähe der Weltausschnitt einer Gemeinschaft, die danach handelt, ganz konkret aus? Akıncı skizziert: „Morgens benutzt jemand das Bad mit einem Frischwasserkreislauf. Kein Tropfen wird verschwendet. Die Person sieht in dem Permakulturgarten nach dem Rechten, lebt mit Tieren in einem Kollektiv, wo Wesen nicht nach Brauchbarkeit beurteilt werden. Alle haben in der Gesellschaft einen Platz.“ Für Akıncı ist das eine Vision, die sie dem Koran entnommen hat. Und sie ist der Überzeugung: „Indem wir uns das ausmalen, wird es ein Stück weit real.“
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